Forschungsschwerpunkt: Literarische Essayistik
Die Beschäftigung mit dem literarischen Essay bedeutet die Auseinandersetzung mit einem hochgradig interdiskursivem Medium, das seine vermeintliche Geburtsstunde bei Montaigne hat, keinesfalls aber auf die Frühe Neuzeit beschränkt ist, sondern bis in die tagesaktuelle Zeit produktiv bleibt. Der Wesenskern der Gattung, also die freie, subjektive und widerspenstige Haltung hält sich dabei überraschend konstant über Zeiten und Kulturen hinweg. Die Beschäftigung mit dem Essay bedeutet, sich mit Zwischen-Diskursen auseinanderzusetzen: den Bereichen zwischen Kunst und Wissenschaft, den Bereichen zwischen den Gattungen.
Konkrete Projekte, Publikationen und Vorträge, die bisher aus diesem Schwerpunkt hervorgegangen sind:
- "Calvinian Thought Waves. Palomar's Performative Poetics of the Literary Essay", Italo Calvino: Interdisciplinary and Comparative Perspectives, University of Cambridge, 19.05.2021.
- "Essay und Essayismus in der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts" [abgeschlossenes Drittmittelprojekt]
- "Riflessioni sul concetto d'ispirazione in due saggi di Italo Svevo e Luigi Pirandello", in lettere aperte 7, 2020, 57-65.
- Dorothea Flothow, Markus Oppolzer und Sabine Coelsch-Foisner, Hgg.: The Essay. Forms and Transformations. Heidelberg: Winter, 2017, 308-310. [Rezension] doi:10.1515/arcadia-2020-2005
- "Kritik der Krise - Krise der Kritik. Eine Analyse des Krisendiskurses am Beispiel der italienischen Literatur", in Roswitha Böhm / Susanne Ritschel: Krisenumschreibungen. Strategien und Narrative in der Romania des 19. bis 21. Jahrhunderts, Berlin: Neofelis 2020, 25-39.
- "Manzonis Poetik der Menschenmengen und deren Einfluss auf den Massediskurs im Fin de Siècle", in Doetsch, Hermann / Wild, Cornelia (Hg.): Im Gedränge. Figuren der Menge. München: Fink 2020. 125-145.
- "The Bitter Essay – Influences of English Studies on the Italian Essay Form", The Essay: Present Histories, Present Futures, University of Malta, Valletta, 12.04.2019.
- "'La folla à un'anima'. Dynamiken der Masse und deren Darstellung in der italienischen Literatur zwischen Risorgimento und Fin de Siècle", XXXV Romanistentag 2017, Zürich, 09.10.2017.
- "Guido Morselli's Lethargic Extinction of Mankind in Dissipatio H.G. (1977)", End Games and Emotions. The Sense of Ending in Modern Literature, Tallinn / Helsinki. 17.08.2017.
- "Maximal Thoughts in Minimal Diaries. Xpt agrschh clwoomai or an abductive approach to one of Eco’s Misreadings.", Images and texts reproduced. 11th International IAWIS/AIERTI Conference, Université de Lausanne 13.07.2017.
- "Das Recht des Tieres. Moralphilosophische Implikationen in Tommaso Landolfis Le due zittelle" in PhiN 82 (2017), 1-11. [open access]
- "The Criticism of Crisis in Literary Journalism", Literary Journalism in Times of Crisis and Transition (1870-1970), Coventry (University of Warwick) 26.11.2016.
- Die Logik des essayistischen Gedankens. Zur Analyse der italienischen Essayistik zwischen Fin de Siècle und Zweitem Weltkrieg vor dem Hintergrund der Gattungsgeschichte. Heidelberg: Winter 2016. [Inhaltsverzeichnis und Einleitung]
- "Kritik der Krise | Krise der Kritik. Der literarische Essay als Medium gesellschaftlicher Krisenbewältigung", Romanistentag 2015, Mannheim. 27.07.2015.
- "L’ordine disordinato: la struttura caotica del saggio letterario della fin de siècle italiana", Sant'Anna Institute (Salerno). 21.06.2015.
- "L'ispirazione capita, crea, poi se ne va". Saggi e tracce d'ispirazione nel saggismo novecentesco. [im Druck]
- „Die essayistische Textfamilie im Familiengespräch der Künste“, in Marc Föcking: Relazioni e relativi – Genealogie, famiglie, parentele, Tübingen: Winter 2016. [im Druck]
- "L'ispirazione capita, crea, poi se ne va", Saggi e tracce d'ispirazione nel saggismo novecentesco. EZH Zürich. 24.05.2014.
- "Die essayistische Textfamilie im Familiengespräch der Künste", Italianistentag 2014. Relazioni e relativi – Genealogie, famiglie, parentele am 22.03.2014 an der FAU Erlangen.
- "Essay und Risorgimento - Die Bewertung nationaler Einheit in der literarischen Essayistik bis zum ersten Weltkrieg", in Florika Griessner und Adriana Vignazia (eds.): 150 Jahre Italien. Themen, Wege, offene Fragen, Wien: Praesens, 2014. [Vollversion]
- "Essay und Essayismus im italienischen Novecento", Proseminar, WS 13|14.
- "Der italienische Essay: Entwicklung und Typologie einer modernen Kleingattung" in Erstausgabe 3 (2010), 45-54. [Vollversion]
- "Thinking Plural[ly]. Between the Royal We and Collective Intelligence in Modern Essayistic Writings", Je est un autre : nous am 14.02.2014 an der Sorbonne Nouvelle (Paris III).
- "Topische Denkformen in der literarischen Essayistik Giovanni Papinis", Italianistik im kulturwissenschaftlichen Kontext am 14.06.2012 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
- "Die Bewertung nationaler Einheit in der literarischen Essayistik Italiens (1860-1915)", 150 Jahre Italien. Themen, Wege, offene Fragen am 17-11-2011 an der Karl-Franzens Universität Graz. Veröffentlicht als „Essay und Risorgimento – Die Bewertung nationaler Einheit in der literarischen Essayistik bis zum Ersten Weltkrieg“ in Florika Griessner und Adriana Vignazia (eds.): 150 Jahre Italien. Themen, Wege, offene Fragen, Wien: Praesens, 2014.
- "Essay und Essayismus in der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts", Italianistik im kulturwissen–schaftlichen Kontext am 30.06.2011 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
- "Flânerie as a method of essayistic text arrangement. A comparative analysis of Austrian and Italian Essay Writing in the beginning XXth Century", Les Fâneurs et la Flâneuse an der École normale Supérieure de Paris, 29.05.2010.
Stipendien und Auszeichnungen
- Jubliäumspreis Böhlau für "Die Logik des essayistischen Gedankens"
- DOC-Stipendium für das Projekt "Essay und Essayismus in der italienischen Literatur"
zu den weiteren Schwerpunkten:
- Literarische Utopien
- Literarische Krisendiskurse
- Poetologische Lyrik
Die Logik des essayistischen Gedankens. Zur Analyse der italienischen Essayistik zwischen Fin de Siècle und Zweitem Weltkrieg vor dem Hintergrund der Gattungsgeschichte. Heidelberg: Winter 2016.
Der literarische Essays kann als Darstellung eines ästhetisch modellierten Gedankenverlaufs begriffen wird. Die Logik des essayistischen Gedankens, so das tragende Konzept der Arbeit, analysiert die Wege ästhetisch vermittelten freien Denkens zwischen Jahrhundertwende und Zweitem Weltkrieg anhand der paradigmatischen Textform des literarischen Essays – eine Gattung, welche die Widersprüche zwischen Wissenschaft und Literatur, Logik und Ästhetik, Wirklichkeit und Wahrheit in sich vereint.
Die Arbeit ist in drei große Teile gegliedert: einen historischen, einen systematischen und einen interpretatorischen. Im ersten Teil wird – neben einem forschungshistorischen Abriss – die Begriffsgeschichte sowie die gattungsgeschichtliche Entwicklung des italienischen Essays dargelegt. Es zeigt sich darin unter anderem, wie die Begriffsgeschichte des italienischen Essays maßgeblich zur mangelnden Perzeption der Gattung beiträgt.
Der zweite Teil der Arbeit stellt vorwiegend gattungstheoretische Überlegungen an und erstellt textimmanente Interpretationskategorien. Der literarische Essay wird hier als Teil der Reflexionsprosa konzipiert, die als vierte Großgattung neben den Bereichen Lyrik, Epik und Dramatik angesetzt werden kann. Die Analyse des logischen Gedankens, wie sie durch unterschiedlichste Denker in der Philosophiegeschichte vorgenommen wurde, dient als Grundlage dafür, eigene essayanalytische Kategorien zu entwickeln, die eine Beschreibung des Gedankenverlaufs als Logik des essayistischen Gedankens ermöglichen sollen.
Im dritten Teil erfolgt eine Verknüpfung von historischem und systematischem Teil und damit eine konkrete Auseinandersetzung mit mehreren prototypischen Essays (von Ugo Ojetti, Luigi Pirandello, Italo Svevo, Giovanni Papini, Emilio Cecchi und Mario Praz), die in den soziohistorischen Kontext eingebettet einen exemplarischen Überblick über die Entwicklung des literarischen Essays im beginnenden zwanzigsten Jahrhundert geben.
Durch die in dieser Arbeit entwickelten Kategorien wird nicht nur ein besserer Weg zur Beschreibung des essayistischen Gedankengangs gewährleistet, sondern auch die Möglichkeit eröffnet, prototypischen Arten essayistischer Schreibweise zu identifizieren, die den kulturkritischen Diskurs des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts maßgeblich geprägt haben.
Albert Göschl
Institut für RomanistikMerangasse 70/III
A-8010 Graz