Forschungsschwerpunkte
- hispanoamerikanisches Theater zwischen Unabhängigkeitsepoche und Romantik (Habilitationsprojekt)
- französischer Film, insbesondere ab 1945 bis in die Gegenwart
- hispanoamerikanische Literaturen 19. und 20. Jahrhundert
- Darstellung von Adoleszenz in Literatur und Film
- Inszenierung städtischer und geografischer Räume im Film
- Migration und Exil
- Formen und Praktiken des Essayfilms in Hispanoamerika
Habilitationsprojekt - Die Nation auf der Bühne. Das hispanoamerikanische Theater zwischen Unabhängigkeitsepoche und Romantik (Arbeitstitel)
Mit den Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika ist bekanntermaßen nicht nur die Frage nach geeigneten politischen Staatsformen, sondern auch der vielfach problematische Prozess des Nation Building verbunden, im Sinne der Bildung integrativer Paradigmen zur Vermittlung eines kulturellen Zusammengehörigkeitsgefühls und eines Reservoirs verbindlicher Narrative und Symboliken. Konnte in Anschluss an die wegweisenden Arbeiten von Benedict Anderson ([1983] 2006) und Doris Sommer (1991) die zentrale Rolle insbesondere des Romans, aber auch des Zeitungswesens im Kontext der Nationenbildung aufgezeigt werden, bleibt das Theater in diesem Zusammenhang bis heute eine in großen Teilen unbeachtete Gattung. Übersehen wird dadurch, dass während des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts das Theater neben Periodika als Leitmedium gewählt wurde, um die neuen Staatsbürger audiovisuell auf die jungen nationalen Projekte einzuschwören. Damit konnte es, zumindest potentiell, ebenso ein nicht-alphabetisiertes Publikum erreichen. Noch nach der Durchsetzung des Romans ab den 1830er/1840er Jahren blieb das Theater eine wichtige Gattung, besonders am Río de la Plata, wo Autoren wie José Mármol oder Bartolomé Mitre parallel zu ihren politischen und narrativen Projekten ebenso dramatische Texte verfassten.
Ziel des Habilitationsprojekts ist es, die spezifische Funktion des Theaters im Kontext der Nationenbildung in Hispanoamerika erstmals eingehend zu beleuchten. Zu zeigen ist insbesondere, welche Rolle es in politischer, sozialer und literarischer Hinsicht spielte und inwiefern es als Medium des gesellschaftlichen Wandels sowie der Konstitution und Verhandlung politischer Realitäten und eines diesbezüglichen Imaginären verstanden werden kann. In den Blick zu nehmen sind folglich die theaterspezifischen Text- und Aufführungsstrategien zur Produktion einer politischen und kulturellen Gemeinschaft. Zeitlich konzentriert sich die Untersuchung auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, um jene Periode in den Blick zu nehmen, in der dem Theater besondere Relevanz für Nation-Building-Projekte zukam, bevor sich der Roman als Medium der staatsbürgerlichen Erziehung und der modellhaften Aushandlung entsprechender Konflikte durchsetzen konnte. Es handelt sich um die Frühphase der Ausprägung hispanoamerikanischer Staaten bis zur beginnenden Konsolidierung, während der noch verschiedene Auffassungen des Begriffs ‚Nation‘ im Umlauf waren und an die Stelle aufklärerischer Tendenzen die Auseinandersetzung mit den Ideen der europäischen Romantik trat. Vor diesem Hintergrund ist folglich ebenso zu überlegen, welches Verständnis von ‚Nation‘ den Stücken zugrunde liegt und wie sich der ästhetische und epistemische Paradigmenwechsel in den nationalen Imaginationen auf der Bühne und der mit diesen verbundenen Wirkungsästhetik niederschlägt. Auch stellt sich die Frage der ‚Aneignung‘ europäischer Gattungsmodelle des Theaters im Sinne transkultureller Übertragungsprozesse und deren Funktionalisierung für die eigenen (nationalen) Belange. Geografisch liegt das Hauptaugenmerk der Untersuchung auf dem Gebiet des ehemaligen Vizekönigreichs Río de la Plata und damit auf einem kulturellen Zentrum des ehemaligen Kolonialreichs, das sich aufgrund seiner besonderen historischen Situation im Kontext der lateinamerikanischen Unabhängigkeiten neben einem frühen Theaterbetrieb durch eine gute Quellenlage auszeichnet. Damit sei die Aufnahme von Theaterstücken anderer geografischer Gebiete nicht vollkommen ausgeschlossen, beispielsweise wenn es darum geht eine bestimmte Gattung vergleichend in den Blick zu nehmen oder die Perspektive durch eine:n Autor:in wie José Joaquín Fernández de Lizardi (Neuspanien/Mexiko) oder Gertrudis Gómez de Avellaneda (Kuba) zu erweitern.