Forschung zur "Königin der Inschriften" (von Avenches)
1902 Erste Rekonstruktion durch William Wavre, Schweiz
Einige Steine gelten hier anfänglich als Stücke unterschiedlicher Inschriften. Abgebildet sind die Inschriften Nr. I und II.
1952 Zweiter Rekonstruktionsversuch durch Andreas Alföldi, Schweiz
Erstmals nimmt ein Wissenschaftler an, daß eine inhaltliche Verbindung zwischen den einzelnen Inschriftteilen besteht.
1969 Dritter Rekonstruktionsversuch durch Joyce Reynolds, Großbritannien
Die Wissenschaftlerin weist nach, daß sich die Inschrift aus mehreren Platten zusammensetzt. Sie rekonstruiert erstmals einen zusammenhängenden Text. Seit den 70er Jahren gilt die Inschrift mit diesem Text als "in den Grundzügen wiederhergestellt".
1993 Vierte Rekonstruktionsvariante durch Stefan Oelschig, Osnabrück
Die Variante beruht auf der Bestandsaufnahme von 1989/90 und den Daten des "Kataloges Avenches". Gegenüber allen anderen Entwürfen enthält sie mehrere Dutzend Fragmente mit veränderter, nun eindeutiger Plazierung. Aufgrund des vorhandenen Steinmaterials wurden drei Zeilen korrigiert und eine zusätzliche Zeile am Ende der Inschrift eingefügt.
Ergebnisse der Forschung von 1902-1993
Nach dem heutigen Stand der Forschung ist die Ehreninschrift dem römischen Bürger Quintus Otacilius Pollinus gesetzt worden. In durchaus typischer Weise (Sektion IV) gibt sie Auskunft über seine Auszeichnungen. Wir erfahren, daß er munizipale und provinziale Ämter ausübte, daß ihm Kaiser Hadriansteuerliche Vergünstigungen gewährte und daß er mehreren bedeutenden Handelsgesellschaften vorstand. Als Dedikanten sind die in Aventicum lebenden Helvetier genannt.
Diese Inhalte waren bereits 1969 mehr oder weniger auf materieller Basis rekonstruiert. Seit 1993 kann nun angenommen werden, daß die einheimischen Helvetier den Römer Quintus Otacilius Pollinus als ihren Gönner und Schutzherrn ansahen und sie ihn deshalb u.a. mit der Inschrift ehrten. Das ermittelte Klientelverhältnis gibt insofern also Auskunft über die sozial untergeordnete Stellung der ansässigen einheimischen Bevölkerung.
Ob sich die Rekonstruktion von 1993 letztendlich als korrekt erweist, muß die weitere Beschäftigung mit der Monumentalinschrift zeigen, denn es kann keineswegs davon gesprochen werden, daß diese schriftliche Quelle wiederhergestellt ist. Mit dem "Katalog Avenches" sind lediglich neue Wege zu ihrer vollständigen Rekonstruktion aufgezeigt.
St. Oelschig, Methode und Geschichte. Variationen zur Inschrift CIL XIII 11480, in: Fr. E. Koenig/S. Rebetez (Hrsg.), Arculiana. Festschrift zum 65. Geburtstag für Hans Bögli (Avenches 1995) 47 ff.