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Flüchtlinge in fortgeschrittenem Lebensalter in der Steiermark

Edda Engelke, Gertrud Kerschbaumer

Einleitung

"Der Bund übernimmt die Betreuung hilfsbedürftiger Fremder, die einen Antrag nach § 2 des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968, in der geltenden Fassung gestellt haben (Asylwerber). Die Bundesbetreuung umfaßt Unterbringung, Verpflegung und Krankenhilfe sowie sonstige notwendige Betreuungsmaßnahmen. Die einzelnen Leistungen können unter Berücksichtigung des Grades der Hilfsbedürftigkeit auch teilweise gewährt werden." (1)

Mit diesen Worten beginnt das Gesetz, mit dem die Bundesbetreuung von Asylwerbern geregelt wird. Hier begegnet man der amtlichen Seite der Flüchtlingspolitik, jener Gratwanderung zwischen Staatsräson und humanitärer Verpflichtung, der sich auch Österreichs politische Vertreter stellen müssen. Die Flüchtlingsproblematik gehört zu jenen Themen, die sich in den 90er Jahren kontinuierlich durch die politische Diskussion ziehen. Unter dem Druck des Weltgeschehens sah sich die Bundesregierung immer wieder zu Anpassungen bzw. Neufassungen der Asyl- und Aufenthaltsgesetze veranlaßt. Dabei versuchten Vertreter der verschiedensten Weltanschauungen ihren Einfluß geltend zu machen, das Spannungsfeld reicht von den humanitären Organisationen, welche die Anliegen der betroffenen Flüchtlinge wahrnehmen, bis zu ausländerfeindlichen Gruppierungen, die unter der Vorbringung populistischer Scheinargumente gegen die Aufnahme von Menschen fremder Herkunft in Österreich sind.

Neben der staatlichen Seite der Flüchtlingspolitik gibt es jene wichtige, breite Ebene der humanitären Unterstützung, der Arbeit von verschiedenen Organisationen, Vereinen, aber auch von einzelnen Personen. Diese muß uneingeschränkt als humanitäre Leistung anerkannt werden, und die Erfahrungen der FlüchtlingsbetreuerInnen sollten bei der Gestaltung der Flüchtlingspolitik in Österreich Beachtung finden.

Eine genaue Definition, wann ein Flüchtling als "alt" bezeichnet wird, ist schwierig. Neben dem tatsächlichen biologischen Alter werden von den FlüchtlingsbetreuerInnen vor allem der Grad der Traumatisierung (2) und die Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt als Kriterien herangezogen. Die Erfahrungen im Landesflüchtlingsbüro zeigen, "daß Menschen über 50 am Arbeitsmarkt kaum mehr vermittelbar sind und daher als alt einzustufen sind". (3) Wer keine Arbeit findet, hat auch die größten Integrationsprobleme, weil die Motivation für das Erlernen der Sprache fehlt und die sozialen Kontakte nach außen nicht zustande kommen. Die Statistik zeigt klar, daß es vor allem die alten Menschen waren, die in der Betreuungsaktion verblieben:

Altersstruktur der „De-facto“-Flüchtlinge in der Steiermark im März 1998

 

Quelle: Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Fachabteilung für das Sozialwesen, Landesflüchtlingsbüro. Registrierungsstand per 1.3.1998.

Die vorliegende Studie befaßt sich mit der Situation alter Menschen, die als Flüchtlinge in der Steiermark leben. Dabei muß festgestellt werden, daß es sich nahezu ausschließlich um Männer und Frauen aus Bosnien-Herzegowina handelt, die 1998 als "De-facto"-Flüchtlinge, als Asylwerber oder mit Asylstatus in der Steiermark leben. Da das Bundesasylamt keine bundesländerbezogenen statistischen Auswertungen erstellt, können keine genauen Angaben über die Zahl der alten Asylanten (aus dem Irak und der Türkei) in der Steiermark gegeben werden, sie ist jedoch nach Angaben der FlüchtlingsbetreuerInnen äußerst gering. Die Registrierung bosnischer "De-facto"-Flüchtlinge in der Steiermark ist statistisch sehr genau aufbereitet und gibt einen guten Überblick über Altersstruktur der Flüchtlinge und die Verweildauer in der Betreuungsaktion. (4)

Es wird versucht, Wege und Betreuungsmodelle aufzuzeigen, die den Bedürfnissen alter Menschen gerecht werden, wenn sie als Asylwerber, als anerkannte "De-facto"-Flüchtlinge oder als Konventionsflüchtlinge in der Steiermark leben. Um diesem Ziel annähernd gerecht zu werden, war es notwendig, kurz Rückschau auf die Aufnahme des Flüchtlingsstroms aus Bosnien-Herzegowina in der Steiermark zu halten und die bestehenden Einrichtungen auf ihre Funktionalität zu untersuchen. Ergänzt und erweitert wurde diese "Bestandsaufnahme" durch die Erfahrungen von FlüchtlingsbetreuerInnen, die aus ihrer langjährigen Arbeit die notwendigen Veränderungen innerhalb der Betreuungsmodelle aufzeigen können.

Seit dem Zweiten Weltkrieg war Österreich immer wieder Transitstation für Flüchtlinge und Auswanderer. In mehreren großen Wellen suchten Menschen, die vertrieben worden waren, Schutz und Hilfe. Trotz einer merklichen Tendenz zur weltweiten Internationalisierung des Flüchtlingsproblems blieb Österreich in erster Linie ein Aufnahmestaat für Menschen aus Ost- und Südosteuropa, wie vor allem die große Flüchtlingswelle aus Bosnien-Herzegowina zu Beginn der 90er Jahre zeigte. 

Flüchtlingsstatus

Der Begriff "Flüchtling" muß heute sehr viel weiter gesteckt werden, als es 1951 bei der Definition im Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge geschehen ist. Dieses internationale Abkommen, dem Österreich 1955 beitrat, enthält lediglich eine Festlegung, welche Gruppe von Menschen als internationale politische Flüchtlinge (sogenannte "Konventionsflüchtlinge") anerkannt wird: "Als Flüchtling gilt eine Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder der politischen Meinung außerhalb des Landes ihrer Nationalität befindet." Diese Definition schließt große Gruppen von Flüchtlingen aus und läßt den Aufnahmestaaten großen Spielraum bei der Entscheidung über die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus bei Asylwerbern. In der internationalen Staatengemeinschaft gilt die Genfer Flüchtlingskonvention (GKF) als Grundlage für die nationale Gesetzgebung. Mehrere Resolutionen der UNO aus dem Jahr 1969 sowie die von der Organisation für Afrikanische Einheit verabschiedete Flüchtlingsresolution konnten zwar den Flüchtlingsbegriff erweitern auf "durch Krieg und Katastrophen entwurzelte Personen", eine Definition, die weite Gruppen von Betroffenen befriedigt, konnte jedoch auch hier nicht gefunden werden.

Seit dem Beginn der 90er Jahre wird die Vorgangsweise der Behörden bei Asylanträgen in Österreich durch eine Reihe neuer Gesetze geregelt. Das am 1. Juni 1992 in Kraft getretene Asylgesetz 1991 schuf eine neue Grundlage für das Wanderungs- und Fremdenwesen. In der Regierungserklärung vom 18. Dezember 1990 erläuterte Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky die Ziele der Reform im Bereich Asyl- und Fremdenrecht wie folgt: "Österreich ist nach wie vor seiner Tradition als Asylland verpflichtet und wird daher auch in den nächsten Jahren sicherstellen, daß allen, die aus Gründen politischer, rassischer und religiöser Verfolgung ihr Land verlassen müssen, Asyl und eine Integrationschance geboten wird."

Der größte Teil der Flüchtlinge bzw. Asylwerber in Österreich fällt zu Beginn der 90er Jahre in die Gruppe der Zwanzig- bis Vierzigjährigen, nur wenige alte Menschen suchen um Asyl an, alle über Fünfzigjährigen stammen aus Bosnien-Herzegowina. (5)

Alter Anzahl der Bosnier andere Nationen
bis 10 Jahre 7 21
11–20 Jahre 6 22
21–30 Jahre 12 116
31–40 Jahre 5 60
41–50 Jahre 4 16
51–60 Jahre 2 4
61–70 Jahre 3 0
bis 70 Jahre 2 0
  41 239

Quelle: UNHCR Regionalbüro Wien (Hg.), Flüchtlingsalltag in Österreich. Eine quantitativ-qualitative Analyse der Vollzugspraxis des Asylgesetzes 1991. Projektleitung Walpurga Englbrecht. Wien 1996, S. 20.

Der "De-facto"-Flüchtling

Die Regierung kann mit Verordnung für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände für die davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren (6), wenn diese Menschen anderweitig keinen Schutz finden. Diese befristete Aufenthaltsgenehmigung begründet den Status des "De-facto"-Flüchtlings.

Aufgrund des bewaffneten Konfliktes in ihrer Heimat wurden Staatsangehörigen aus Bosnien-Herzegowina, deren Ehegatten und minderjährigen Kindern ein vorläufig bis 30.6.1996 befristetes Aufenthaltsrecht eingeräumt, sofern sie vor dem 1.7.1993 nach Österreich eingereist waren und anderweitig keinen Schutz fanden. Personen, die nach dem 1.7.1993 nach Österreich eingereist sind, kam dieses Aufenthaltsrecht nur zu, wenn sich der Fremde bei der Einreise der Grenzkontrolle stellte. Der Grenzübertrittsstempel war in der Folge erforderlich, um ein befristetes Aufenthaltsrecht zu erhalten, das durch einen Stempel im Reisepaß von der zuständigen Behörde (zuständige BH oder Bundespolizeidirektion) kenntlich gemacht wurde.

Die Balkankrise

Seit dem Beginn des Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien wurde die Steiermark in mehreren Wellen von Flüchtlingen überschwemmt. Während jedoch Slowenen und Kroaten nach der Einstellung der kriegerischen Auseinandersetzungen und der Gründungen ihrer eigenen Nationalstaaten wieder in die Heimat zurückkehrten, kamen seit 1992 Tausende Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und konnten aufgrund der anhaltenden Kämpfe nicht zurückkehren.

Am 1.4.1992 wurde die "De-facto"-Aktion für Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina von den Bundesländern und dem BMfI eingeleitet. Erstmalig in Österreich und auch in ganz Europa wurden den Ländern Aufgaben im Rahmen der Flüchtlingsbetreuung auf privatwirtschaftlicher Basis übertragen. Es wurden privatrechtliche Verträge zwischen dem Bundesministerium für Inneres und den einzelnen Bundesländern abgeschlossen, die gesamte Administration und finanzielle Abdeckung dieser Aktion wurde durch ein eigens eingerichtetes Flüchtlingshilfebudget des Landes Steiermark (7) abgewickelt, welches die Sozialhilfeeinrichtungen der Gemeinden und Bezirksbehörden sowie die Asyleinrichtungen des Landes in keiner Weise berührte. Die Länder erklärten sich bereit, die Kosten für die Flüchtlingsbetreuung auf der Basis vorzufinanzieren, daß zwei Drittel der Ausgaben vom Bund rückerstattet wurden. Diese Form der privatwirtschaftlichen Finanzierung hat sich als äußerst effizient und flexibel erwiesen.

Die Bewältigung des Flüchtlingsstromes konnte nur durch die intensive Zusammenarbeit vieler Stellen bewältigt werden. Neben dem Landesflüchtlingsbüro waren dies vor allem die Caritas der Diözese Graz-Seckau als größte private Flüchtlingshilfsorganisation, zahlreiche private Vereine wie INTEGRA in Kapfenberg (später in Bruck/Mur), MITEINANDER in Donawitz, Hilfsforum Judenburg, Life, Isop, Omega und Zebra in Graz, viele Pfarrcaritas-Stellen in der ganzen Steiermark. Auch die Sicherheitsdirektion für Steiermark, die Außenstelle des Bundesasylamtes in Graz, die Aufenthaltsbehörden bei der Rechtsabteilung 5 und die Fremdenpolizeireferate der Bezirkshauptmannschaften waren wichtige Faktoren bei der Aufnahme und Integration der Flüchtlinge.

Die Unterbringung der Flüchtlinge erfolgte anfangs vor allem in Bundesheerkasernen, Heimen (Großquartieren) und Gasthöfen, in der zweiten Phase der Flüchtlingsbetreuung ging man dazu über, möglichst viele Flüchtlinge in privaten Wohnungen unterzubringen. Dies erwies sich in Hinblick auf eine angestrebte Integration als weit günstiger. In begründeten Fällen gewährte und gewährt das Land Steiermark eine Unterstützung von ATS 1.500,— pro Person und zusätzlich eine Mietbeihilfe von maximal ATS 3.500,— monatlich. Die Beihilfen waren immer befristet bewilligt und wurden je nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Flüchtlings neu bewertet. Der Mietvertrag mußte nach den Bestimmungen des Mietrechtes in Ordnung und beim Finanzamt angezeigt sein. Betriebs-, Strom- und allenfalls Telefonkosten wurden nicht vom Land übernommen.

Der Flüchtlingsstrom aus Bosnien setzte sich aus Menschen aller Altersgruppen zusammen, erstmals waren auch viele alte Flüchtlinge zu betreuen. In den Großquartieren waren Säuglinge und Neunzigjährige auf engstem Raum untergebracht, erst durch die Forcierung des "Integrativen Wohnens" bekamen Familien oder kleinere Gruppen, die zusammenbleiben wollten, ihre Privatsphäre zurück. Schon bald stellte sich heraus, daß in vielen Familien kein Platz für die alten Eltern und Verwandten war und sie in der Betreuungsaktion zurückgelassen wurden. Das Bild der funktionierenden Großfamilie vom Balkan bekam unübersehbare Risse. Die Alten oder nicht mehr Arbeitsfähigen, die nicht von ihren eigenen Kindern aufgenommen oder betreut wurden, fanden sich häufig in Gruppen oder Wohngemeinschaften zusammen. Auffällig ist nach Aussage der beiden Caritas-Flüchtlingsbetreuer Eva Toriser und Albert Cérny, daß es zur Bildung von "Ersatzfamilien" unter den älteren Menschen kam, d.h. Bewohner aus dem gleichen Dorf in Bosnien-Herzegowina bildeten nun eine Gemeinschaft. Aber auch jene, die die Flucht nach Österreich gemeinsam erlebt hatten, ohne sich vorher zu kennen, blieben in Flüchtlingsunterkünften zusammen oder hielten den Kontakt untereinander aufrecht.

Die Schwierigkeiten der ersten Monate waren in allen Bereichen groß, die Grundversorgung der Flüchtlinge mit Essen und Unterkunft stand im Vordergrund der Bemühungen. Durch die Versorgung aus Großküchen waren die Flüchtlinge zur völligen Untätigkeit verurteilt, sie waren zu lange Zeit für nichts zuständig oder verantwortlich, und ihr Leben erschien ihnen oftmals sinnlos. Auch Dr. Emir Kuljuh sieht als Betreuer ähnliche Probleme: (8) "Die Flüchtlinge haben ihren eigenen Lebensrhythmus aufgeben müssen, vor allem in den Großquartieren wurde der Tagesablauf vorgeschrieben. Sie wollten nicht in der Freizeit auch noch von den Betreuern ein vorgegebenes Programm. Die alten Menschen wollten keine Handarbeitsgruppe und keine Deutschgruppe, sie haben nach Dingen gesucht, die ihnen persönlich wichtig waren, und sie wollten Tätigkeiten nach ihren Vorstellungen ausführen."

Mit 1.9.1997 trat eine entscheidende Wende in der Betreuung der "De-facto"- Flüchtlinge ein, da Personen aus jenen Gebieten, die als "sicher" eingestuft wurden (Bosnische Föderation), vom Bundesministerium für Inneres zur Rückkehr in ihre Heimat aufgefordert wurden und für den Neubeginn in der Föderation eine Rückkehrerunterstützung erhielten. (9) Bis Oktober 1997 konnten 83% der ursprünglich in der Steiermark registrierten Flüchtlinge aus der Unterstützungsaktion abgemeldet werden, da sie entweder einen Arbeitsplatz gefunden hatten, verzogen oder ausgewandert sind oder in ihre Heimat zurückkehren konnten. (10) Flüchtlinge aus dem Gebiet der Republika Srpska, Schüler, Lehrlinge, Studenten, Kinder, Alte und Kranke erhielten ein bis 31. Juli 1998 befristetes Aufenthaltsrecht in Österreich, mit diesem Tag endete offiziell die Unterstützungsaktion in Österreich, wovon die Betroffenen brieflich in Kenntnis gesetzt wurden.

Im April 1998 waren noch 691 Personen in der Betreuungsaktion, 301 waren älter als 50 Jahre (11), nur sehr wenige hatten um Asyl angesucht. Bis zum festgesetzten Ende der Aktion sank die Zahl der in der Betreuung verbliebenen Bosnier und Bosnierinnen in der Steiermark auf 429. (12) Diese Gruppe bestand überwiegend aus alten, kranken, behinderten oder schwer traumatisierten Menschen. Wie die Leiterin der "De-facto"- Aktion für Bosnier im Innenministerium, Frau Heide-Marie Fenzl, mitteilte, dürfen diese Menschen grundsätzlich in Österreich bleiben. Falls sich einige der Alten und Kranken zur Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina entschließen, hat die österreichische Bundesregierung auch für diese Gruppe von Flüchtlingen wirtschaftliche Begleitmaßnahmen vorgesehen. Auf keinen Fall würde es für diese humanitären Härtefälle Abschiebung oder unfreiwillige Rückführung geben.

Sprache

Die Mehrzahl der alten Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina sprach ausschließlich Bosnisch, nur wenige besaßen höhere Schulbildung, ein Teil waren Analphabeten. Während die Kinder durch den Schulbesuch und Kontakte mit österreichischen Kindern rasch Deutsch lernten und die jüngeren Menschen erkannten, daß der Weg in die Integration über die Sprache führte, sahen sich die alten Menschen beim Erlernen einer neuen Sprache vor ein riesiges Problem gestellt. In der Folge wurden häufig Kinder und Jugendliche für Dolmetschertätigkeiten herangezogen, was die Therapeuten für problematisch ansehen: "Die Inhalte der Gespräche waren für die Jugendlichen sehr belastend, aber auch den alten Menschen wäre es lieber gewesen, wenn sie vieles nicht vor anderen Familienmitgliedern hätten erzählen müssen. Ein neutraler Dolmetscher ist ein zentrales Anliegen der Betreuer."

St. Gabriel

Am 10. Juli 1992 gründete die Caritas der Diözese Graz-Seckau das Flüchtlingsheim St. Gabriel als Zufluchtstätte für Menschen, die dem Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina entkommen waren. Als Unterkunft stand ein Haus am Kalvariengürtel zur Verfügung, das 10 Jahre leer gestanden war und nun adaptiert wurde. Zu Beginn fanden hier 96 Menschen verschiedener ethnischer Gruppen Zuflucht. Den Flüchtlingen wurden Aufgaben beim Ausbau des Hauses und bei der inneren Organisation übertragen.

Die Jahre 1994 bis 1997 waren im Haus St. Gabriel von einer hohen Fluktuation gekennzeichnet, die als Zeichen einer funktionierenden Integration angesehen werden kann. Im Haus St. Gabriel blieben immer mehr alte und kranke Menschen zurück, die sich nicht integrieren und ihr Leben nicht eigenständig meistern konnten. Seit Mitte 1996 widmete man sich im Haus St. Gabriel vermehrt der Krankenbetreuung. Das Haus stand bis 31.12.1997 unter der Leitung von Frau Christine Anderwald, von Beruf psychiatrische Krankenschwester, die wegen ihrer Tätigkeit als Flüchtlingsbetreuerin auch die kroatische Sprache erlernte. Für sie besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der Dauer des Aufenthaltes in Flüchtlingsquartieren und dem Ausbrechen vieler schwerer Erkrankungen im Jahr 1996. Die meisten Bewohner des Hauses St. Gabriel stammten aus serbisch besetzten Gebieten im Norden und Osten von Bosnien-Herzegowina, der sogenannten Republika Srpska; an eine unmittelbare Rückführung in diese Regionen war auch nach dem Abkommen von Dayton nicht zu denken. Die Häuser dieser Region waren zerstört oder von serbischen Familien bewohnt, die politische Führung war nach wie vor an einer Rückkehr der moslemischen und kroatischen Bevölkerung in das Gebiet nicht interessiert. (13)

Herkunftsregionen    
Bosnische Föderation 190 Personen 26%
Republika Srpska 528 Personen 74%

Quelle: Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Fachabteilung für das Sozialwesen, Landesflüchtlingsbüro, Registrierungsstand 1.3.1998.

Während die Gesamtzahl der bosnischen "De-facto"-Flüchtlinge in der Steiermark durch Integration oder Rückkehr stetig sank, änderten sich die Bedürfnisse der Verbleibenden dramatisch: Nach Jahren des Wartens wurde diesen Menschen klar, daß keine reelle Chance auf ein sicheres, geordnetes Leben in ihrer Heimat bestand. Diese Gewißheit löste Depressionen und Verzweiflung aus. In dieser Zeit nahm das Ausmaß der Krankenbetreuung und der psychologischen Unterstützung stark zu.

Mit Zustimmung der Steiermärkischen Landesregierung läuft seit 1. Oktober 1997 im Haus St. Gabriel das Projekt "Betreutes Wohnen für alte und kranke Menschen aus Bosnien". In diesem Rahmen bieten 9 MitarbeiterInnen der Caritas rund um die Uhr Betreuung für rund 50 Menschen an, die pflege- oder hilfsbedürftig sind. Grundsätzlich wird darauf geachtet, daß die Menschen im Haus St. Gabriel so weit wie möglich im eigenen Familienverband leben und sich selbst versorgen. Wo dies aber nicht mehr möglich ist, steht Hilfe zur Verfügung. Im Haus St. Gabriel können Kurz- und Akutpflege in Anspruch genommen werden, es finden regelmäßig Gymnastikstunden und Informationsveranstaltungen für Diabetiker statt. Die alten Menschen werden angeleitet, mit ihren Krankheiten eigenverantwortlich umzugehen und lernen, schwerkranke Angehörige zu pflegen. Diese Maßnahmen führen neben dem wichtigen sozialen Aspekt auch zu einer Kostenreduktion. Die Arzt- und Krankenhauskosten werden über die Sozialversicherung abgewickelt.

Für die regelmäßige psychologische Betreuung, aber auch zur Krisenintervention kommen MitarbeiterInnen von ZEBRA und OMEGA zu den Heimbewohnern. Neben der Unterstützung im medizinischen Bereich und bei Amtswegen bietet das Heim St. Gabriel den alten Flüchtlingen die so wichtige soziale Betreuung an. Es gibt Gemeinschaftsnachmittage mit Österreichern, Ausflüge, Feste, Kurse für kreative Betätigung und vor allem einen Garten, den die Flüchtlinge selbst bearbeiten.

Neben dem Haus St. Gabriel wurden in der Steiermark zwei weitere Stationen zur medizinischen Betreuung und Pflege alter und kranker Flüchtlinge eingerichtet, deren Träger private Vereine sind und die entsprechende Verträge mit dem Landesflüchtlingsbüro haben:
"INTEGRA" in Bruck an der Mur und "MITEINANDER" in Leoben-Donawitz.

INTEGRA – Kranken- und Pflegestation in Bruck/Mur

Der Verein INTEGRA entstand zu Beginn der 90er Jahre aus privater Initiative. Mit dem Anschwellen des Flüchtlingsstroms kam es zur Umstrukturierung des privaten Vereins INTEGRA. Die MitarbeiterInnen erarbeiteten gemeinsam mit Verantwortlichen der Steiermärkischen Landesregierung ein Projekt zur Flüchtlingsbetreuung, dessen Träger der Verein nun wurde. Die Aufgaben reichen von der Aufnahme von Asylwerbern bis zur Versorgung und Pflege von kranken und pflegebedürftigen Flüchtlingen. Ein Teil des ehemaligen Bahnhofhotels in Bruck/Mur wurde für die Flüchtlingsbetreuung zur Verfügung gestellt und eine eigene Pflegeabteilung eingerichtet. Die Installierung einer Pflegestation hatte zur Folge, daß auch alte und kranke Flüchtlinge aus anderen Bundesländern zugewiesen wurden. Während jene Flüchtlinge, die in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten, das Haus verließen, blieben die alten und pflegebedürftigen dort. Im Juni 1998 war die Pflegestation mit 23 Patienten und Patientinnen belegt, dazu werden noch die übrigen alten Menschen im Haus mitbetreut.

Die Leiterin von INTEGRA bezeichnet die alten Menschen, die sie betreut, als "irgendwie gestrandet, ohne Hoffnung". Nur in wenigen Fällen kümmern sich Familienangehörige um die alten Eltern oder Angehörigen, auch wenn sie nahe wohnen. Die Alten werden nicht besucht, niemand erkundigt sich, wie es ihnen geht, und auch zu Familienfesten werden sie nicht abgeholt. Hauptproblem der alten Menschen ist die Einsamkeit, das Gefühl, alles verloren zu haben. Ein ganz wichtiger Faktor ist der Zusammenhalt innerhalb des Flüchtlingsheimes, so haben auch die alten Menschen noch das Gefühl, eine Aufgabe zu haben und für etwas da zu sein.

Unterbringung der „De-facto“-Flüchtlinge in der Steiermark in Groß- und Privatquartieren Juli 1992 bis Dezember 1997
Quelle: Bundesministerium f. Inneres, Bosnien-Herzegowina De-Facto-Aktion, Statistik und graphische Aufarbeitung, 3. Auflage, Juli 1992 bis Dezember 1997.

MITEINANDER - Betreuung alter und kranker Flüchtlinge in Leoben

 In Leoben-Donawitz ist der Verein MITEINANDER Projektträger und verantwortlich für die Betreuung von Flüchtlingen, die im ehemaligen "Werksspital" der VÖEST Alpine leben. Die Leiterin ist Frau Sulu, eine junge Frau, die selbst als "Gastarbeiterkind" in Österreich aufgewachsen ist und daher viel Verständnis und Sensibilität für die Probleme von Fremden und Flüchtlingen in Österreich hat.

Die Gründung des Betreuungszentrums in Leoben-Donawitz erfolgte von Bruck aus, heute bestehen die beiden Einrichtungen jedoch völlig unabhängig nebeneinander. Im Haus dürfen maximal 100 Flüchtlinge untergebracht werden, 1994 wurde eine Pflegestation mit zwei muttersprachlichen PflegerInnen eingerichtet. Die Zahl der Patienten schwankt, ebenso die erforderliche Pflegeintensität. Im Juni 1998 waren 22 pflegebedürftige Personen im Haus. Neben "leichten Fällen" müssen aber auch schwerkranke und bettlägrige Patienten, Alkoholkranke und Diabetiker mit großem Aufwand betreut werden. Als Problem erweist sich der fehlende Nachtdienst und die geringe Bereitschaft von Angehörigen, einen pflegebedürftigen Verwandten zumindest zeitweise mitzubetreuen. Um so wichtiger ist die Rolle derjenigen Familien, die im "Werksspital" untergebracht sind und sich immer um die alten Menschen im Haus kümmern.

Flüchtlinge in privaten Unterkünften

Die Auflösung der Großquartiere und zunehmende Unterbringung der bosnischen Flüchtlinge in Privatunterkünften war ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Lebensqualität der Flüchtlinge. Die folgende Graphik zeigt, daß über einen Zeitraum von fünf Jahren die Flüchtlinge, die in private Unterkünfte kamen, in verstärktem Maße den Weg in die Integration fanden und aus der Betreuungsaktion ausschieden. Aus den Erzählungen der alten Menschen ist auch klar herauszuhören, daß sie die relative Unabhängigkeit in Wohnungen oder Wohngemeinschaften sehr viel höher schätzen als das durchorganisierte Leben in einem Großquartier.

Rückkehr

Grundsätzlich sind sich alle FlüchtlingsbetreuerInnen einig, daß die alten Menschen sehr gerne in ihre Heimat zurückkehren möchten. Sie sind fixiert auf den Ort, auf das Haus ihrer Herkunft. Nach Aussage von Flüchtlingsbetreuer Valdet Abrashi ist auch der nahe Tod ein wichtiges Motiv: "Die alten Leute wollten ,zu Hause‘ sterben und in ihrer Heimat begraben werden."

Folgende Gründe halten die Menschen von der Heimreise ab:

1. Zerstörung ihrer Häuser und Wohnungen in der Heimat.
Einige Flüchtlinge waren selbst in Bosnien, enttäuscht und hoffnungslos kamen sie zurück.
2. Die Angst vor dem Unbekannten.
Die alten Flüchtlinge wissen zu wenig über die tatsächliche Situation in ihrer Heimat. Viele wissen nicht, ob ihr Dorf oder Haus noch steht, und wagen die Reise ins Unbekannte nicht. Private Informationen unterscheiden sich oft stark von den offiziellen Darstellungen.
3. Materielle Ängste.
Die alten Menschen trauen den politischen Verhältnissen und der Verwaltung in ihrer Heimat nicht und fürchten, daß ihnen ihre Rente in Bosnien nicht ausgezahlt wird. Das Leben in Bosnien ist teuer, und die Renten sind klein. Viele Rentenansprüche sind ungeklärt.
4. Die Kinder und ihre Familien sind ebenfalls geflüchtet und wollen nicht zurückkehren, da sie sich im Gastland eine Existenz gründen konnten. Die alten Menschen fürchten daher, ihre Kinder nicht mehr wiederzusehen.
5. Viele der alten Flüchtlinge benötigen regelmäßige medizinische Versorgung, die in Bosnien derzeit noch keineswegs gewährleistet ist.
6. Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind und jetzt zurückkehren, werden in ihrer Heimat oftmals angegriffen und abgelehnt, sie werden bei der Arbeitsuche benachteiligt und sind verstärkt bürokratischen Schikanen und Gehässigkeiten ausgesetzt. (14)

Nach dem Abkommen von Dayton galt der Krieg in Ex-Jugoslawien als beendet, und die Bundesregierung entwickelte Pläne betreffend das Auslaufen der Aktion zur Betreuung von Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina. Es begann ein monatelanges Verwirrspiel über die Durchführung der ersten "Rückführaktion", nur der Termin stand fest: 31.10.1997. Die mangelnde Information machte den Betreuern die belastende Arbeit sehr schwer. Erst nach Wochen der Unsicherheit stand fest, wie die Begleitmaßnahmen aussehen und welche Gruppen aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit mit einer Verlängerung ihres Aufenthaltsrechtes rechnen konnten. Die Rückkehrhilfe wurde mit 7.500 Schilling als Starthilfe pro Person festgesetzt, als Reisekostenersatz stehen jedem Rückkehrwilligen 1.500 Schilling zur Verfügung.

Um eine endgültige Entscheidung über Verbleib oder Rückführung zu treffen, wurde in jedem Bundesland eine Rückkehrkommission gebildet. "Durch diese Rückkehrkommission wird den Flüchtlingen deutlich, daß die Zeit des Wartens, der Unsicherheit zu Ende geht, daß eine Entscheidung heranreift – die einen werden sich mit der Rückkehr befassen müssen, die anderen können an eine Zukunft in Österreich zu denken beginnen." (15)

Günther Bauer vom Landesflüchtlingsbüro räumt ein, daß die Rückkehr nach Bosnien absolute Priorität hatte. (16) " Die Mehrheit der noch in der Steiermark verbliebenen Flüchtlinge, auch wenn sie aus dem Gebiet der Republika Srpska stammten, hat sich für Rückkehrprojekte entschieden oder für Altenheimplätze vormerken lassen. In Einzelfällen kam es auch zu Sonderregelungen in der Form, daß alte Menschen nun durch ihre Kinder versichert sind und das Landesflüchtlingsbüro sich bereit erklärt hat, weiterhin den Tagsatz auszuzahlen. Wir haben jetzt, im Dezember ’98, rund 60 Anmeldungen für einen Heimplatz in Bosnien."

Für bosnische Flüchtlinge, die noch nicht in ihre unmittelbare Heimat zurückkehren können, wurden vom Hilfswerk Austria im Auftrag des Bundeskanzleramtes Sanierungsmaßnahmen an einem Altenheimprojekt in Travnik durchgeführt, wo nach Beendigung der Arbeiten 60 Betreuungsplätze für alte Menschen zur Verfügung stehen, die in Österreich leben und nach Bosnien zurückkehren wollen. Die Kosten der Betreuung werden für einen Zeitraum von zwei Jahren vom Bundesministerium für Inneres und den Ländern zu gleichen Teilen getragen werden. (17) Ein weiteres Altenheimprojekt wird unter der Leitung vom Hilfswerk Austria unter Verwendung von Geldern der EU-Kommission in der Stadt Prijedor durchgeführt. Auch hier werden Rückkehrer aus Österreich Plätze belegen können.

Das Aufenthaltsrecht von weiterhin schutzbedürftigen bosnischen Kriegsflüchtlingen wurde im 85. Bundesgesetz über die Sicherung des Verbleibes integrierter Vertriebener aus Bosnien-Herzegowina (ausgegeben am 21. Juli 1998) geregelt. (18) Die Unterstützung für die betroffenen Menschen wurde als Auslaufprojekt bis 31. Juli 2000 verlängert, wobei die Kosten auch weiterhin vom Bund und dem Land Steiermark gemeinsam getragen werden. Im Oktober 1998 waren insgesamt 2.055 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina im Bundesministerium für Inneres registriert.

"... ich habe den Lebensinhalt verloren."

Für diese Studie wurden eine Reihe lebensgeschichtlicher Interviews mit alten Frauen und Männern aus Bosnien-Herzegowina gemacht, in denen sie über ihr Leben vor dem Krieg, ihre Flucht, die Aufnahme im Gastland und ihr Leben in Österreich sprachen.

Die Schuld am Ausbruch des Krieges wird bei allen befragten Flüchtlingen "Nationalisten", "nationalistischen Gruppen" oder "nationalistischen Politikern" zugeschrieben, von den Politikern in Europa fühlen sich viele bosnische Flüchtlinge verraten oder im Stich gelassen.

Die Flucht wird von den alten Menschen als unausweichliche Folge einer Reihe lebensbedrohlicher Ereignisse geschildert. Auffallend dabei ist, daß die Betroffenen nur beiläufig oder gar nicht erwähnen, daß sie vertrieben wurden, weil sie Moslems waren. Im Vordergrund steht immer die persönliche Bedrohung, die Angst um das eigene Leben und das der Kinder und Enkelkinder, niemand spricht über die Situation der Moslems. In allen Fällen geht der Flucht eine systematische Verschlechterung und Verschärfung der Situation der gesamten Familie voraus, keiner der Gesprächspartner ist unmittelbar bei Ausbruch der Auseinandersetzungen geflohen. Es entsteht der Eindruck, daß sie so lange wie möglich in ihrem Haus zu bleiben versuchten, dann suchten sie Schutz bei anderen Familienmitgliedern oder in anderen Regionen Bosniens, die Flucht ins Ausland war letztlich ein Akt der Verzweiflung.

In den Gesprächen wird einhellig die humanitäre Leistung Österreichs anerkannt und gewürdigt. Die Dankbarkeit der alten BosnierInnen, in Österreich als Flüchtling aufgenommen worden zu sein, ist groß und wird klar artikuliert. Jede Verbesserung der Situation, jeder Deutschkurs und jede finanzielle Zuwendung wird von den alten Menschen sehr wohl registriert und geschätzt, was nach Meinung vieler Flüchtlingsbetreuer bei den Jüngeren wesentlich seltener der Fall ist. Auch wenn die alten Menschen sich nach mehreren Jahren in Österreich in ihr Schicksal scheinbar gefügt haben, bleibt der Wunsch, wieder nach Bosnien zu gehen, unüberhörbar.

Die zukünftige Betreuung alter Flüchtlinge

In vielen Betreuungseinrichtungen zieht man nach der offiziellen Beendigung der Betreuungsaktion Bilanz und sucht nach neuen Wegen, um für zukünftige Aufgaben vorbereitet zu sein. In einer Zeit, in der das Alter der Menschen eine steigende Tendenz aufweist, wird auch der Anteil an alten Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, immer größer werden.

Als große psychische Belastung sehen die Mitarbeiter der Flüchtlingsorganisationen die Fristsetzungen für die Aufenthaltsbewilligungen an.

Dr. Emir Kuljuh meint, daß alten Menschen als Flüchtlingen eine Art "Sonderstatus" eingeräumt werden sollte, da ihre Situation aus vielen Gründen als besonders schwierig einzustufen ist:

1. Die Gefährdung alter Menschen auf der Flucht ist als besonders hoch anzusehen. Sie sind rein körperlich den Strapazen kaum gewachsen und verfügen oft über eine geschwächte Sehkraft oder ein schlechtes Gehör, wodurch sie sich in einer fremden Umgebung schlecht zurechtfinden können. Auch bei der Ausgabe von Essen, Decken, Kleidung etc. in einem Lager sind sie dadurch benachteiligt, sie sind anderen oft körperlich unterlegen oder zu schwach, um sich anzustellen.

2. Viele sind chronisch krank und auf Medikamente oder auf medizinische Versorgung angewiesen, was auf der Flucht oder im Lager zum Problem wird.

3. Alte Menschen leiden besonders unter der Trennung von Lebenspartnern oder Angehörigen, aber auch das Verlassen der gewohnten Umgebung und des Besitzes lösen einen schweren Schock und Angstzustände aus.

4. Fixe Lebensgewohnheiten gehen durch die Flucht verloren.

5. Sprachbarrieren sind für alte Menschen meist unüberwindlich und führen zu einer starken Isolation. Sie sind von Information abgeschnitten, stellen aber aus unterschiedlichen Gründen keine Fragen. Dadurch verschlechtert sich ihre Situation häufig.

6. Auf der Flucht und im Lager verlieren sie ihre soziale Rolle, ihre Hoffnung und ihre Lebensziele.

7. Alte Menschen stellen keine homogene Gruppe dar, und auf ihre oft stark ausgeprägte Individualität sollte, soweit es unter den Umständen möglich ist, Rücksicht genommen werden.

8. Die Probleme alter Menschen werden in der westlichen Industriegesellschaft meist als nicht vorrangig eingestuft.

Im akuten Krisenfall sollte den alten Flüchtlingen schon kurz nach ihrer Ankunft geschultes, kompetentes Personal zur Seite stehen. Es ist wichtig, neutrale und kompetente Dolmetscher zu haben.

Die jüngeren Familienangehörigen haben sich in vielen Fällen zu wenig oder gar nicht um die alten Menschen gekümmert. Der Mythos "Großfamilie" ist, in der Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts ohnehin ins Wanken geraten (19), und scheint den extremen Anforderungen der Flucht nur in geringem Ausmaß standzuhalten. Die verpflichtende Einbindung der Angehörigen wird daher als wichtiger Punkt genannt. Die "De-facto"-Aktion hat gezeigt, daß in vielen Fällen die in Österreich integrierten und wirtschaftlich abgesicherten Kinder weder in sozialer noch finanzieller Hinsicht für die alten Eltern oder Großeltern sorgten. In Zukunft sollte nicht die ganze Verantwortung auf die Betreuungsorganisationen abgewälzt werden.

Als wichtiger Schritt zur Verbesserung der Situation alter Flüchtlinge sollte der 1998 eingeführte Begriff des "Humanitären Aufenthaltsrechtes" gelten. Alte Menschen können ebenso wie kleine Kinder, Schüler, Studenten oder Kranke nicht den heute so dominanten wirtschaftlichen Richtlinien untergeordnet werden. Es gehört zu den Aufgaben eines reichen Sozialstaates wie Österreich, Modelle für die soziale Absicherung dieser Menschen zu entwickeln und diese den jeweiligen Anforderungen anzupassen, wie dies in der "De-facto"-Aktion für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in der Steiermark durchgeführt wurde und wird. Auch wird man berücksichtigen müssen, daß es alten Flüchtlingen einfach nicht mehr möglich ist, sich an ein Leben unter völlig veränderten Voraussetzungen anzupassen. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, ihre gewohnten, althergebrachten Lebensformen so weit wie möglich beibehalten bzw. wiederaufnehmen zu können.

Das Ziel der alten Flüchtlinge ist die Rückkehr ohne Gefährdung in ihre Heimat. Die alten Menschen sind auch bereit, einen Heimplatz oder eine Wohnung in einer "sicheren" Region in der Föderation Bosnien zu akzeptieren; je näher der Ort an ihrer eigentlichen Heimat liegt, desto leichter fällt ihnen die Entscheidung.

Flüchtlinge aus dem Kosovo

Der Ausbruch des Krieges im Kosovo im März 1999 zeigte mit aller Deutlichkeit, daß Europa innerhalb weniger Tage mit einem Flüchtlingsstrom größten Ausmaßes konfrontiert werden kann. Durch internationale Absprachen wurde versucht, die Flüchtlinge möglichst in geographischer Nähe zum Kosovo unterzubringen und zu versorgen. Diese Politik stellte auch die österreichischen Hilfsorganisationen vor neue Probleme, die in vielen Bereichen wie z.B. der Logistik stark von jenen Aufgaben abwichen, die sie im Rahmen der Betreuung bosnischer Flüchtlinge in Österreich erfüllten.

Von den erschütternden Bildern in den Medien, aber auch aus Untersuchungsberichten internationaler Organisationen und aus Dokumentationen des Österreichischen Bundesheeres (20) ist bekannt, daß unter den Flüchtlingen viele alte Menschen waren.

Wie vom Landesflüchtlingsbüro für die Steiermark (21) zu erfahren ist, kamen nur sehr wenige alte Kosovaren als Flüchtlinge in die Steiermark. Insgesamt wurden 1.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo in der Steiermark registriert, 60 Prozent davon waren Minderjährige. Die meisten kamen im Familienverband, wobei die Größe der Familien zwischen acht und 26 Personen lag und die alten Menschen als Teil dieser Familien nach Österreich kamen. Seitens des Landesflüchtlingsbüros wurde die Auskunft erteilt, daß keine Pflegefälle zu versorgen waren. Ende Juli 1999 hatten sich bereits 350 in der Steiermark registrierte Kosovaren für die Rückkehr in ihre Heimat angemeldet, die Rückführungsaktion ist in großem Umfang angelaufen.

Der größte Teil der Alten kam in die Flüchtlingslager nahe der Grenze zum Kosovo. Der Schock über das Erlebte, der Verlust von Angehörigen, Hab und Gut ist für die alten Menschen verheerend. Viele Flüchtlingsbetreuer sind der Meinung, daß auf die Bedürfnisse der alten Menschen zu wenig eingegangen wurde. Während man sich im Lager des Österreichischen Bundesheeres in Shkodra dankenswerterweise mit besonderer Aufmerksamkeit um die Betreuung geflüchteter Kinder bemühte und dafür auch einen Facharzt für Kinderheilkunde heranzog, wurden die alten Menschen nicht als gesonderte Gruppe betrachtet. Es wäre wichtig, die Erfahrungen der in den Flüchtlingslagern an der Grenze zum Kosovo eingesetzten HelferInnen auszuwerten und aus den gewonnenen Daten Programme zu erstellen, die das Schicksal der Betroffenen im Falle einer neuen Flüchtlingswelle zumindest erleichtern würden.

Die gesamte Studie, welche am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgen-Forschung (Leiter: ao. Univ.Prof. Dr. Stefan Karner) erstellt wurde, kann über das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, RESOWI-Zentrum, 8010 Graz, Universitätsstraße 15/F/2, Tel. 0316/380/3520, bezogen werden.

1 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich Nr. 405 vom 2.8.1991, § 1. (1).
2 Gespräch mit Edith Glanzer und Ingrid Egger im Büro des Vereins Zebra, Pestalozzistraße 59, 8010 Graz, 19. August 1998.
3 Gespräch mit Günther Bauer, Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Fachabteilung für das Sozialwesen, Landesflüchtlingsbüro, Hofgasse 12, 8010 Graz, 5. Mai 1998.
4 Statistik und graphische Aufarbeitung wurden vom Bundesministerium für Inneres, Abteilung III/15 und vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Fachabteilung für das Sozialwesen, Landesflüchtlingsbüro, durchgeführt und für dieses Projekt dankenswerter- weise zur Verfügung gestellt.
5 Statistische Angaben für das Bundesland Steiermark waren vom BMfI trotz mehrerer Anfragen nicht erhältlich.
6 Hetfleisch, Das österreichische Ausländerrecht, S. 63. (§ 12 AufG (1))
7 Bericht „Bosnische Kriegsflüchtlinge – Chancen und Problemfelder einer geglückten Integration“, Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Fachabteilung für das Sozialwesen, Landesflüchtlingsbüro (Günther Bauer). S. 1.
8 Gespräch mit Dr. Emir Kuljuh am 24.11.1998. Verein OMEGA, Granatengasse, Graz.
9 15% der registrierten Flüchtlinge stammten aus diesem Gebiet.
10 Bericht „Bosnische Kriegsflüchtlinge – Chancen und Problemfelder einer geglückten Integration“. Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Fachabteilung für das Sozialwesen, Landesflüchtlingsbüro (Josef Bauer). S. 2.
11 Auskunft der Caritas der Diözese Graz-Seckau, 28.4.1998.
12 Statistik des BMfI in: KURIER vom 7. August 1998, S. 2.
13 Kleine Zeitung (Graz), 13.6.1998, S. 6. Tricks gegen die Heimkehrer.
14 Vgl. dazu: Marc Wiese – Bert Heinzlmeier, Fremde Heimat. In: ZEITmagazin, Juni 1998, S. 12ff.
15 Ingrid Egger, Die Freiheit des Vogels im Käfig zu singen. Über die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. In: Zebratl Nr. 2/97, Graz. S. 14.
16 Gespräch mit Günther Bauer am 9.12.1998 im Landesflüchtlingsbüro, Hofgasse 12, 8010 Graz.
17 Schreiben des BMfI, Zahl 23.200/51-III/15/98 vom 18.11.1998.
18 Ebd.
19 Vgl. dazu: Johannes Pflegerl. Familienverhältnisse von Zuwanderern. Eine Pilotstudie über das Fortbestehen traditioneller Strukturen in Migrantenfamilien aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei. Wien 1996.
20 Bildmaterial zur Situation der Flüchtlinge wurde dem Bundesgymnasium GIBS (Graz, Marschallgasse) anläßlich eines Kosovo-Aktionstages am 29.5.1999 dankenswerterweise von der Pressestelle des Österreichischen Bundesheeres in Graz zur Verfügung gestellt.
21 Gespräch mit Herrn G. Bauer, Leiter des Landesflüchtlingsbüros – Steiermärkische Landesregierung, RA 9, Fachabteilung für das Sozialwesen – am 30. Juli 1999.

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