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Lebensqualität bedeutet mehr als Gesundheit

Analyse der Antworten aus der Sicht der Medizin

Wolfgang Schmidt, Caroline Schwarz

Die in dieser Studie erhobenen Daten wurden aus soziologischer Sicht bereits eingehend betrachtet. Wir möchten nun versuchen, diesem Bericht auch noch eine medizinische Komponente, welche in Fragen der Gesundheit wohl zweifellos unerläßlich ist, hinzuzufügen.

Es wird dabei zu beurteilen sein, ob es überhaupt eine Lebensqualität ohne Gesundheit gibt, und nach dem Motto "Altern: Lust oder Last?" stellen sich für uns hier vor allem zwei Fragen: "Gibt es Lust ohne Gesundheit?" bzw. "Bedeutet Krankheit immer Last?"

Um diese Fragen ausreichend beantworten zu können, hätten wir aus medizinischer Sicht einige Fragen etwas anders gestellt oder andere noch hinzugefügt. Da diese Studie aber primär eine soziologische ist, müssen wir mit den vorhandenen Zahlen und Fakten auskommen. Wir können allerdings auf jahrelange Erfahrung aus der Arbeit im Krankenhaus sowie intensive Beschäftigung mit dieser Thematik im Rahmen des Studiums zurückgreifen und versichern deshalb, daß unsere Analyse, wenn sie sich auch nicht immer nur an die gegebenen Zahlen hält, auf fundiertem Wissen beruht und nicht auf Spekulationen aufbaut. (1)

Es wird aber vermutlich den einen oder anderen Punkt geben, in dem man uns vorwerfen wird, daß wir zu klischeehaft oder plakativ interpretieren. Wir haben uns aber ganz bewußt zu diesen kleinen Überzeichnungen entschlossen, um durch diese Provokation noch deutlicher auf die Problematik hinzuweisen.

1. Allgemeine Fragen zur Gesundheit, der Umweltbelastung und der Medizin

Dieser Punkt soll einen allgemeinen Überblick darüber geben, wie ältere Menschen ihr persönliches Befinden einschätzen und welche Einstellung sie der Medizin gegenüber haben. Die jeweils erhobenen Zahlen werden im Splitting zwischen Stadt und Land bzw. zwischen Mann und Frau betrachtet werden. Wir haben schließlich versucht, Gründe für diese teilweise doch recht deutlichen Unterschiede aufzuzeigen.

66% der Befragten – also immerhin rund zwei Drittel – fühlen sich körperlich gesund, wobei das Splitting zwischen Stadt- und Landbevölkerung ergibt, daß sich die Menschen auf dem Land noch um einiges gesünder fühlen als jene in der Stadt.

Es wäre hier zu hinterfragen, ob das Klischee – Land ist Natur und Natur steht für Gesundheit –, das wir alle kennen, hier seinen Stellenwert repräsentiert oder ob die sozialen und ökonomischen Anforderungen an die Landbevölkerung dieser einerseits auferlegen, nicht krank sein zu dürfen, oder diese zum anderen so robust machen, daß sie sich tatsächlich so gesund fühlt.

Der Unterschied, den es zwischen Stadt- und Landleben – wenngleich er allmählich kleiner wird (siehe unten) – immer noch gibt, spielt hier sicherlich eine Rolle. Reizungen der Atemwege durch den industriellen Smog sind ein gutes Beispiel für eine Erkrankung, die es bislang auf dem Land noch nicht gibt. Da sich aber immer mehr Industriebetriebe im Umfeld von größeren Städten ansiedeln (z.B. das Gebiet Feldkirchen-Kalsdorf), wird diese Belastung mittelfristig auch die ländliche Bevölkerung betreffen.

Eine andere Begründung ist aber wohl auch in der Tatsache zu finden, daß es sich die Landbevölkerung – hier meinen wir nur jenen Teil, der eine Landwirtschaft betreibt – einfach nicht "leisten" konnte und kann, krank zu sein. Die Feldarbeit fällt zu bestimmten Zeiten an, und wer aus welchen Gründen auch immer die Arbeit nicht erledigen kann, erleidet erhebliche Verluste. Vor allem in Zeiten, als die Bauern noch ausschließlich vom Erwerb aus der Landwirtschaft lebten – und das betrifft die hier befragte Generation –, hing die Existenz der ganzen Familie unter anderem vom Gesundheitszustand des Bauern ab. Diese harten Bedingungen haben im Laufe der Zeit wohl dazu geführt, daß sich die Bevölkerung tatsächlich gesund fühlt.

Das Faktum "Nicht krank sein zu dürfen" und die Robustheit treten hier also nicht nebeneinander, sondern miteinander auf, was ein gutes Beispiel für die Auswirkungen der sozialen Bedingungen auf die Gesundheit darstellt.

Noch eindrucksvoller stellt sich die Frage nach der seelischen Gesundheit dar. Hier geben gleich 83% der Befragten an, sich gesund zu fühlen. Das Splitting zwischen Mann und Frau zeigt schließlich noch, daß sich Männer durchschnittlich gesünder fühlen als Frauen – der Unterschied beträgt 9%.

Die Erklärung dafür könnte darin liegen, daß Männer eher als Frauen ihre Lebensbestimmung erfüllen, was besonders in der hier befragten Generation noch auf dem Klischee beruht, daß Frauen an den Herd gehören. Diesen wurden dadurch viele Möglichkeiten genommen, auch außerhalb des Hauses etwas zu leisten und zu erreichen. Im Alter fehlt ihnen nun diese Komponente, die einen großen Teil der männlichen Zufriedenheit ausmacht.

Frauen können nur selten – wenngleich sie durch ihre häusliche Arbeit zweifellos einen großen Beitrag dazu geleistet haben – mit Stolz und Genugtuung auf ein selbst erbautes Haus oder ähnliches blicken. Dies beschränkt sie oft in ihrem Selbstwertgefühl und in weiterer Folge in der seelischen Gesundheit.

Männer ruhen sich im Alter meist darauf aus, ihren Lebensauftrag erfüllt zu haben, und können deshalb ihren Lebensabend in größerem Ausmaß genießen. Die Aufgaben der Frauen dagegen, soweit sie sich auf das Führen des Haushaltes, die Erziehung der Kinder und die Sorge um diese beziehen, hören niemals auf. Folglich können sie sich nicht ausruhen, fühlen sich auch in fortgeschrittenem Alter noch verpflichtet, diese Aufgaben zu erfüllen, und sind deshalb oft weitaus weniger ausgeglichen.

Rund die Hälfte der Befragten bezeichnen sich als wetterfühlig, wobei das Verhältnis zwischen Land- und Stadtbevölkerung ziemlich gleich ist. Das Splitting zwischen Mann und Frau zeigt aber, daß Frauen insgesamt doch stärker unter den Wettereinflüssen leiden als Männer.

Viele Männer meinen zu diesem Punkt, daß Frauen eben empfindlicher seien. Wir meinen allerdings, daß diese Wetterfühligkeit das hohe Maß der weiblichen Sensibilität zum Ausdruck bringt.

Die Ausgeglichenheit zwischen Stadt und Land zeigt uns noch, daß das Phänomen der Wetterfühligkeit nicht von der Luftbelastung und anderen Umweltbeeinträchtigungen durch die Industrie abhängt, sondern wirklich nur durch vom Menschen nicht beeinflußbare Komponenten bestimmt wird. Vielleicht ist aber gerade das der Grund dafür, warum sich viele Menschen so schwer tun, dieses Phänomen zu akzeptieren. (2)

Die Luftbelastung wird ziemlich geteilt beurteilt. Während 71% der ländlichen Bevölkerung diese als nicht stark bzw. leicht erachten (gegenüber 55% in der Stadt), meinen 43% der städtischen Bevölkerung, daß die Luft mittel bis sogar sehr stark belastet ist (gegenüber 25% am Land).

Die getrennte Beurteilung von Männern und Frauen ergibt, daß 28% der Männer glauben, daß die Luft leicht belastet ist (gegenüber 15% der Frauen), während 21% der Frauen an eine zumindest mittlere Luftbelastung glauben (gegenüber 15% der Männer).

Zwischen Mann und Frau dürfte sich hier wiederum die höhere Sensibilität der Frau darstellen. Im Vergleich zwischen Stadt und Land ist allerdings augenfällig, daß das Land – als Gesundheitsoase – zwar immer noch deutlich die Nase vorn hat, daß die Luftbelastung durch die "Segnungen der Technik" sich allmählich aber auch auf das Land ausdehnt und immerhin schon mehr als ein Viertel der Landbevölkerung die Belastung der Luft als störend empfindet.

Die Frage nach der Lärmbelastung hat ergeben, daß 68% der ländlichen und 63% der städtischen Bevölkerung diese als nicht stark oder leicht erachten.

Zwischen Männern und Frauen ist das Ergebnis ungefähr ausgeglichen, auffällig ist aber, daß die Frauen auf der vorgegebenen Skala jeweils die äußeren Pole – also nicht stark und sehr stark – besetzen.

Die Lärmbelastung dürfte sich also im Unterschied zur Luftbelastung bereits auf die ländlichen Gebiete ausgedehnt haben. Vorbei sind die Zeiten der Idylle, als sich nur Fuchs und Henne "gute Nacht" sagten. Eine der Ursachen dafür ist wohl, daß die Städter, um den Belastungen der Stadt zu entgehen, sich in den letzten Jahren vermehrt am Land angesiedelt haben. So entstanden in vielen kleinen Ortschaften neue Siedlungen, und bislang brachliegendes Land wurde verbaut. Mit der Masse der Städter, die eigentlich Ruhe suchten, kam schließlich aber auch am Land die Lärmbelastung.

Eine weitere Frage hat ergeben, daß 60% der Stadtbevölkerung und rund 50% der Landbevölkerung in ärztlicher Behandlung stehen, wobei es mehr Frauen (56%) als Männer (47%) sind.

Aufgrund der zunehmenden körperlichen und seelischen Belastungen unserer Zeit verwundert es nicht, daß immer mehr Menschen ärztlicher Behandlung bedürfen. Die höhere Lebenserwartung und die ständige Verbesserung der medizinisch-technischen Möglichkeiten dürften die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung und Betreuung allerdings ebenfalls erhöhen.

Erstaunlich ist jedoch aus medizinischer Sicht, daß sich dennoch rund zwei Drittel der Befragten gesund fühlen (siehe oben).

Dies läßt zwei Schlüsse zu: entweder darf sich "gesund zu fühlen" nicht gleichgesetzt werden mit "gesund sein", denn letzteres würde eine medizinische Behandlung unnötig machen, oder aber die ärztliche Behandlung hat vor allem mit dem Arztbesuch an sich zu tun, dessen Bedeutung im folgenden Punkt erörtert wird.

Bei den Arztbesuchen zeigt es sich, daß die Stadtbevölkerung bei den kurzfristigen Besuchen (2x/Monat, wöchentlich oder noch öfter) deutlich voranliegt. Die Landbevölkerung dagegen besucht den Arzt im Abstand längerer Intervalle.

Unsere Interpretation dazu lautet, daß es in der Stadt zum einen viel mehr Ärzte gibt, und die Menschen deshalb schneller und eher zum Arzt und vor allem auch zu verschiedenen Spezialisten gehen. Die Menschen auf dem Land suchen dagegen zuerst einmal den Praktiker auf, und nur wenn dieser sie an einen Facharzt überweist, nehmen sie den meist für ältere Menschen doch recht weiten und beschwerlichen Weg auf sich. (3)

Man muß hier außerdem noch berücksichtigen, daß der Arzt auf dem Land seine Patienten zumeist gut kennt. Er weiß von ihnen nicht nur, was unmittelbar beim Arztbesuch zur Sprache kommt, sondern kennt ihre Lebensgewohnheiten, die familiäre Situation und dergleichen mehr. Dies ermöglicht es ihm oft, die Patienten im Sinne der Allgemeinmedizin ganzheitlich zu behandeln, und reduziert dadurch vielfach die Zahl der Arztbesuche. Des weiteren findet Behandlung am Land nicht immer in der ärztlichen Praxis statt. Nur allzuoft kann man Sätze hören wie: "Hoffentlich geht der Doktor heute in die Kirche; ich brauche nämlich dringend meine Tabletten."

In der Stadt fehlt diese persönliche Beziehung, was die Menschen dazu zwingt, häufiger die Arztpraxis aufzusuchen bzw. verschiedene Beschwerden von verschiedenen Spezialisten behandeln zu lassen.

Ein weiterer Faktor dürfte aber auch noch die gesellschaftliche Komponente des Arztbesuches sein. Am Land, wo man sich untereinander gut kennt und beim Einkauf oder beim sonntäglichen Kirchgang trifft, spielt dieser Faktor nur eine untergeordnete Rolle. In der Stadt aber, wo man oft nicht einmal alle übrigen Hausbewohner kennt und es diese gesellschaftlichen Fixpunkte nicht gibt, kommt diesem Faktor eine bedeutende Rolle zu. Häufig stellt der Arztbesuch die einzige Möglichkeit dar, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Man kann sein "Leid" teilen und lernt auf diesem Weg eventuell neue Bekannte kennen.

Wenn das stimmt, was wir hier – etwas überzeichnet – aufgezeigt haben, so wäre gerade in diesem Punkt die Gesellschaft gefordert, andere Möglichkeiten für soziale Kontakte zu schaffen. Nicht nur, weil es schönere Plätze als eine Arztpraxis gibt, um sich zu unterhalten, sondern vor allem auch im Sinne einer effizienteren Nutzung unseres Gesundheitswesens.

Das Vertrauen der Befragten in die Medizin ist bei 32% sehr groß und bei 46% groß, wobei die Landbevölkerung eher sehr großes, die Stadtbevölkerung eher großes Vertrauen hat. Das Splitting zwischen Mann und Frau zeigt noch, daß Männer eher Vertrauen in die Medizin haben als Frauen.

Hier ist der Stellenwert des Arztes als Vertrauensperson aufzuzeigen, der beim Praktiker am Land zweifellos um einiges höher liegt (siehe oben) als bei den verschiedenen Spezialisten in der Stadt – was aber nicht heißen will, daß diese deshalb weniger geschätzt werden. Es dürfte beim sog. Landarzt wohl das Faktum eine Rolle spielen, daß er, wie wir im letzten Punkt näher erörtert haben, das Image des Allgemeinmediziners genießt, der sich auf allen Fachgebieten der Medizin auskennt.

70% der Befragten nehmen Medikamente, wobei Städter und Frauen in der Medikamenteneinnahme voranliegen.

Natur- und Alternativmedizin werden zu 50% akzeptiert. Größere Akzeptanz findet sich dabei in der Landbevölkerung und bei Frauen.

Medikamente – und dabei vor allem das "Tablettenverschreiben" – haben immer noch einen hohen Stellenwert in der Bevölkerung. Die Menschen, die Medikamente einnehmen, kann man grob in drei Gruppen einteilen: die einen, die genau jene Medikamente und in der Dosierung einnehmen, wie es ihr Gesundheitszustand notwendig macht. Als Arzt hoffe ich natürlich, daß diese Gruppe den Hauptanteil ausmacht, aber es gibt auch noch die anderen beiden Gruppen, wobei die erste jene Patienten umfaßt, die sich Medikamente verschreiben lassen und in der Menge der Tabletten vielleicht sogar das Maß dafür sehen, wie ernst ihre Probleme vom Arzt genommen werden. Häufig nehmen diese Patienten die Tabletten aber gar nicht oder nicht regelmäßig ein, weil der Arztbesuch in diesen Fällen eben eher eine gesellschaftliche Funktion hat und die Tabletten per se nur den Vorwand darstellen, um hingehen zu können. Die zweite Gruppe sieht in der Anzahl der einzunehmenden Tabletten das Maß dafür, wie es um ihren Gesundheitszustand steht. Diese Menschen fühlen sich manchmal sogar gesünder, wenn sie mehr Tabletten schlucken müssen, da sie dadurch nach dem Motto "für jedes Wehwehchen das richtige Pulver" ihre Erkrankung bekämpft und beseitigt wähnen. (4)

Daß Frauen im Tablettenkonsum überwiegen, überrascht nur auf den ersten Blick. Bedenkt man die Tatsache, daß die Frauen der Generation vor der unsrigen Krieg, Zerstörung, Einsamkeit und extreme körperliche Belastung im Zuge des Wiederaufbaus, körperliche und seelische Belastung im Rahmen der Kindererziehung und der Haushaltsführung, die dem oben erwähnten Klischee entsprangen, aber auch seelische Belastung in der Partnerschaft ertragen mußten und am Abend ihres Lebens eben nicht auf ein materiell faßbares Lebenswerk zurückblicken können, so verwundert es nicht mehr, daß Frauen kranker sind als Männer und in der Folge mehr Medikamente einnehmen.

Die Anerkennung und Wertschätzung von Alternativ- und Naturheilverfahren nimmt derzeit allgemein zu. Dies liegt einerseits daran, daß die Erfolge, die damit erzielt werden, teilweise wirklich beachtlich sind, andererseits jedoch auch daran, daß eine aggressive Medienpolitik den erzielten Erfolg noch viel beachtlicher erscheinen läßt.

Der höhere Grad der Zustimmung in der Landbevölkerung könnte auf die Nähe des Landes zu diesen Heilmitteln und Heilverfahren zurückzuführen sein. Uns hat dieses Ergebnis etwas überrascht, da aus unserer Erfahrung zumindest die Akzeptanz für Alternativheilverfahren eher eine Erscheinung der Stadt ist. Vielleicht müßte man in diesem Punkt Alternativ- und Naturheilverfahren getrennt voneinander betrachten.

Die Tatsache, daß Männer diese Heilverfahren weniger akzeptieren, stimmt im übrigen mit der Beantwortung der Frage nach dem Vertrauen in die Medizin überein. Hier spiegelt sich wahrscheinlich das eher nüchterne Denken der Männer wider, das Alternativheilverfahren für Firlefanz hält und statt dessen eher auf herkömmliche und allgemein anerkannte Mittel setzt.

Zu den häufigsten Erkrankungen zählen jene des Bewegungsapparates (37% der Frauen und 29% der Männer leiden daran) sowie des Herz-Kreislauf-Systems (davon sind 24% der Männer und 20% der Frauen betroffen).

Diese Zahlen werden von allen Lehrbüchern und Statistiken bestätigt. Leiden des Bewegungsapparates und des Herz-Kreislauf-Systems werden im übrigen auch die bestimmenden Krankheiten der nächsten Jahre sein. Wenn wir unsere Lebensgestaltung anschauen, in der für Ausgleichssport und Erholung faktisch kein Platz mehr ist, da selbst der Urlaub neuerdings ein aufregendes Abenteuer darstellen muß – ganz abgesehen vom Streß im Beruf und der in vielen Berufen mangelnden bzw. einseitigen Bewegung –, darf uns das nicht verwundern.

Um so mehr wird deshalb das Gesundheitswesen gefordert sein, nicht nur optimale Therapieschemata anzubieten, sondern – unserer Meinung nach – vor allem auch eine schlagkräftige Prävention zu betreiben, um diese Erkrankungen entweder überhaupt im Keim zu ersticken oder diese wenigstens in erträgliche Bahnen zu lenken.

 

2. Fragen zur Lebens- und Wohnsituation

Der Zusammenhang zwischen Lebens- beziehungsweise Wohnsituation und Gesundheit mag einige erstaunen. Gerade diese Punkte scheinen uns aber – auf ältere Menschen bezogen – besonders wichtig zu sein. Solange man jung ist, einen Beruf ausübt und einen großen Freundeskreis hat, spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob man allein lebt oder mit der Familie. Wenn man aber älter wird und nicht nur in der persönlichen Mobilität eingeschränkt ist, sondern auch die Freunde, die man hatte, nach und nach durch Krankheit oder Tod verliert, dann spielt es plötzlich eine große Rolle, wie und wo man lebt. Sehr schnell kann man allein sein und vereinsamen und dadurch in weiterer Folge krank werden.

49% der Befragten sind verheiratet und bereits 39% sind verwitwet. Das Splitting zwischen Stadt und Land ergibt, daß 52% der Land- gegenüber 39% der Stadtbevölkerung verheiratet sind. Der Anteil der Verwitweten ist in der Stadt mit 43% – gegenüber 37% auf dem Land – höher.

Große Unterschiede ergeben sich zwischen Männern und Frauen: Immerhin 71% der Männer sind verheiratet, aber nur 35% der Frauen. Verwitwet sind dagegen 51% der Frauen, aber nur 17% der Männer.

In der Stadt leben 46% der Menschen allein, 35% mit Partner und 18% in der Familie. Am Land ist das Verhältnis dieser drei Lebensformen – mit einem Anteil von jeweils einem Drittel – ausgeglichen.

Die soziologische Bedeutung dieses Ergebnisses, das zweifellos sehr interessant ist, soll von uns hier nicht näher betrachtet werden. Es steht aber fest, daß Einsamkeit ein Faktor ist, dessen krankmachende Eigenschaft häufig unterschätzt wird. (5) Auch diese Zahlen untermauern folglich die Tatsache, daß der Anteil der Frauen und Städter unter den Kranken bzw. denjenigen, die sich krank fühlen, höher ist.

Das Steigen der Lebenserwartung und die zunehmende Aufsplitterung unserer Gesellschaft in der Weise, daß sich die jungen Leute viel schneller als noch vor einigen Jahrzehnten von den älteren lösen, werden außerdem diese Vereinsamung der älteren Menschen in Zukunft noch weiter vorantreiben und in weiterer Folge trotz einer besseren medizinischen Versorgung und trotz aller sozialer Maßnahmen noch kranker machen.

84% der Befragten haben Kinder, davon 88% auf dem Land und 77% in der Stadt, sowie 87% der Männer und 82% der Frauen.

Weiters haben insgesamt 75% der Befragten Enkelkinder. Hier sieht die Verteilung so aus, daß 81% der Land- und 65% der Stadtbevölkerung sowie jeweils rund 75% der Frauen und Männer Enkelkinder haben.

Kinder und Enkel spielen im Leben der älteren Menschen eine große Rolle. Sie verhindern nicht nur, wenn sie regelmäßigen Kontakt pflegen, die Vereinsamung dieser Menschen, sie können ihnen auch Mut und
Kraft zum Leben selbst geben, indem sie den älteren Menschen das Gefühl vermitteln, noch gebraucht zu werden. Den Kindern kommt aber außerdem noch die Aufgabe zu, für ihre Eltern zu sorgen und sich um sie zu kümmern, wenn diese die Anforderungen des Lebensalltags nicht mehr selbständig bewältigen können.

Auch in diesem Punkt wird sich die Situation für die älteren Menschen in Zukunft verschlechtern. Wir leben nicht nur in einer Zeit, in der Berufs- und Freizeitstreß unser Familienleben in zunehmendem Ausmaß beeinflussen und wir deshalb häufig nicht mehr die Zeit aufbringen, Eltern oder Großeltern zu besuchen, sondern auch in einer Zeit, in der sich – vor allem für Frauen – immer öfter die Frage nach Kind oder Karriere stellt. Aber, mag die momentane Entscheidung zugunsten der Karriere reizvoll sein, weil die Frauen dadurch aus dem Klischee von der "Frau am Herd" ausbrechen können, und mag die größere Unabhängigkeit, die man ohne Kinder sicherlich hat, kurzfristig ein "besseres Lebensgefühl" vermitteln, spätestens im Alter werden es diese Frauen (und Männer) bereuen.

80% der Landbevölkerung und 72% der Stadtbevölkerung haben oft Kontakt mit den Verwandten. Dabei hält sich der Anteil der Männer und Frauen bei 77% die Waage.

Weiters sehen 60% der Stadt- und 66% der Landbevölkerung häufig ihre Bekannten. Immerhin 11% der Städter (gegenüber 2% der Landbevölkerung) haben allerdings keinen Kontakt zu ihren Verwandten, und rund 6% (gegenüber 2%) sehen auch ihre Bekannten nie.

Wie eingangs bereits erwähnt, stellen diese Kontakte einen wichtigen Faktor im Leben älterer Menschen dar. Leider läßt sich aus den Antworten nicht ablesen, wieviel Zeit für diese Kontakte aufgewendet wird. Es wäre sicherlich interessant zu untersuchen, wieviel Zeit einerseits die jüngeren Menschen heutzutage tatsächlich noch für ihre Familie aufzubringen bereit sind, aber und in welchem Ausmaß sich andererseits der Zeitfaktor direkt auf das Wohlbefinden der älteren Menschen auswirkt. Da diese Frage in der vorliegenden Studie nicht erörtert wurde, beschränken wir uns darauf, in diesen Zahlen den Trend bestätigt zu sehen, daß die Städter insgesamt weniger Sozialkontakte haben, womit auch unser Argumentationsschema, daß Alleinsein krank macht, bestärkt wird.

 

3. Freizeitgestaltung

Auch die Freizeitgestaltung läßt nicht nur Rückschlüsse auf die Lebensqualität per se, sondern durchaus auch auf die Gesundheit zu. Zum einen kann man aus den Freizeitaktivitäten ersehen, wieweit das körperliche Befinden beispielsweise Sportbetreiben noch möglich macht, zum anderen kann man aber auch darauf schließen, ob ältere Menschen in ihrer Freizeitgestaltung überhaupt noch Wert auf gesundheitsfördernde oder -erhaltende Maßnahmen legen.

Als sportliche Aktivität ersten Ranges wird sowohl bei der Stadt- wie auch bei der Landbevölkerung das Spazierengehen mit rund 60% angegeben. Danach folgen Wandern mit 31% Land- und 22% Stadtanteil sowie das Radfahren mit einem Anteil von 31% der ländlichen und 16% der städtischen Bevölkerung.

Die geschlechtsspezifische Betrachtung zeigt, daß Frauen eher das Spazierengehen und Männer eher Wandern und Radfahren bevorzugen.

Sportliche Aktivitäten, die größere körperliche Belastung mit sich bringen, werden nur mehr von einem ganz geringen Prozentsatz ausgeübt: Tennis spielen 3% der Städter – die Landbevölkerung überhaupt nicht, und zum Laufen motivieren sich 2% der Stadt- und 1% der Landbevölkerung.

Es zeigt sich, daß körperliche Aktivität in leichter Form auch für ältere Menschen jenseits der 70 noch eine Möglichkeit darstellt, sich sportlich zu betätigen.

Daß jene Sportarten, die Ausdauer und Kraft brauchen, nur mehr von einem sehr geringen Prozentsatz ausgeübt werden, versteht sich von selbst. Auch der höhere Anteil der Männer bei kraftraubenden Sportarten muß wohl nicht näher erörtert werden.

Verwunderlich schien uns aber, daß nur 16% der Stadtbevölkerung radfahren. Wenn man bedenkt, daß gerade Graz sich für den Ausbau der Radwege rühmt, muß man sich fragen, warum diese von der älteren Bevölkerung nicht angenommen werden. Vielleicht liegt es ja weniger am Willen der Städter, sich sportlich zu betätigen, sondern am rücksichtslosen Fahren mancher Jugendlicher und am Mißbrauch der Radwege durch Inlineskater, Skateborder etc.

In der Unterhaltung liegen Fernsehen mit 89% am Land und 82% in der Stadt, Radio mit 81% am Land und 66% in der Stadt und Lesen mit je rund 75% deutlich voran. Rund ein Fünftel der Städter besucht Theater und Konzert, der Anteil der Landbevölkerung beträgt hier nur mehr ca. 10%.

Am Land kommt auch der Vereinstätigkeit noch ein beachtlicher Anteil der Bevölkerung (ca. 20%) nach.

Wenn man bedenkt, daß rund zwei Drittel der Befragten angeben, sich körperlich gesund zu fühlen, muß man sich hier doch die Frage stellen, woran es liegt, daß die tägliche Freizeitgestaltung so stark von Aktivitäten geprägt ist, die man sitzend oder gar liegend ausführt.

Heißt das, daß für Unterhaltungsalternativen das Interesse, die Möglichkeiten oder das Geld fehlen, oder aber bedeutet das, daß es um das körperliche Wohlergehen doch nicht so gut steht, wie es eingangs angegeben wurde?

Diese bewegungsarme Freizeitgestaltung ist der Förderung bzw. Aufrechterhaltung der körperlichen Fitneß jedenfalls sicherlich nicht dienlich. Natürlich ist es praktisch, Unterhaltung auf Knopfdruck zu bekommen, und auch Zeitungen werden bekanntlich ins Haus geliefert. Aus medizinischer Sicht möchten wir aber darauf hinweisen, wie gefährlich diese Art von Freizeitgestaltung sein kann. Fähigkeiten, die man nicht ausreichend fördert, verliert man mit der Zeit, d.h., wenn die älteren Menschen nicht regelmäßig darauf achten, ihre körperliche Gesundheit zu fördern, dann werden sie sie allmählich verlieren. Wir meinen, daß eine sinnvolle Gestaltung der Freizeit diesen Prozeß erheblich verzögern könnte.

Außerdem ist es gefährlich, Fernsehen oder Radio als Ersatz für soziale Kontakte zu benutzen. Viel sinnvoller wäre es, sich einen Hund anzuschaffen, mit dem man mehrmals täglich spazierengehen muß. Dabei käme man erstens in den Genuß der frischen Luft, würde zweitens ausreichend Bewegung machen und hätte drittens die Möglichkeit, im Park neue soziale Kontakte zu knüpfen. Des weiteren würden die notwendigen Besuche beim Tierarzt beim einen oder anderen vielleicht die eigenen Arztbesuche reduzieren.

Für einen Großteil der Befragten stehen Musik (45% Stadt – 38% Land), Reisen (36% Stadt – 28% Land), Tiere (29% Stadt – 33% Land), Geld (26% Stadt – 29% Land), Hobbys (18% Stadt – 23% Land) sowie Religion (20% Stadt – 25% Land) für Lebensqualität.

Frauen legen dabei größeren Wert auf Musik, Hobbys und Religion, Männer auf Geld und Tiere.

In dieser Definition von Lebensqualität spielt Gesundheit per se für die Menschen offensichtlich keine Rolle. Man kann aus den Antworten ableiten, daß Reisen, das für rund ein Drittel der Befragten Lebensqualität bedeutet, eine halbwegs intakte Gesundheit voraussetzt. Tiere, sofern es sich um Haustiere handelt, mit denen man spazierengehen muß, können, wie wir im letzten Punkt erörtert haben, die Gesundheit sogar fördern.

Nichtsdestotrotz war es für uns aber ein wenig erschreckend, daß sich die älteren Menschen – bezogen auf ihre Lebensqualität – keine Gedanken über ihre Gesundheit machen. Hier scheint das Motto zu lauten: "Solange ich gesund bin, brauche ich mich um die Gesundheit nicht zu kümmern, und wenn ich einmal gebrechlich bin, ist es ohnehin zu spät, da muß ich mich erst recht nicht mehr mit der Gesundheit befassen."

Die Wertigkeit, die der Gesundheit dabei zukommt, müßte uns eigentlich alle aufrütteln. Weder darf Gesundheit als selbstverständlich erachtet werden, noch dürfen Einschränkungen derselben einfach hingenommen werden. Die Gesundheit ist und bleibt das höchste Gut des Menschen und muß deshalb das ganze Leben lang behütet und gefördert werden.

An dieser Stelle wären unsere Politiker gefordert, Maßnahmen zu setzen, die das Gesundheitsbewußtsein der Österreicher fördern. Dies scheint uns dringend erforderlich zu sein und würde vielleicht einen ersten Schritt in der unvermeidlichen Veränderung unseres gesamten Gesundheitswesens darstellen. (6)

4. Heimbewohner

11% der Befragten (20% Stadt – 6% Land) leben in einem Heim – ihnen soll nun dieser letzte Punkt gewidmet sein. Wir werden dabei Punkte, die wir oben bereits erörtert haben, nach den Antworten der Heimbewohner nochmals analysieren.

63% der im Heim Befragten fühlen sich körperlich gesund.

Dies entspricht ungefähr dem allgemeinen Schnitt, der oben bei 66% lag. Es überrascht insgesamt, wie gesund sich die älteren Menschen fühlen. Wir glauben das dadurch erklären zu können, daß sich im Alter die Definition für Gesundheit für den einzelnen verändert (siehe unten).

90% der Befragten bekommen Medikamente.

Diese Zahl ist doch deutlich höher als die Gesamtzahl, die 70% betrug. Mögliche Gründe dafür sehen wir in den regelmäßigen Arztvisiten, die es in Heimen zumeist gibt. Wenn man die Arztbesuche als sozialen Kontakt betrachtet, den es eben nur gibt, wenn man etwas braucht, würde das diese Zahl möglicherweise erklären. (7)

Aus unserer Erfahrung wissen wir außerdem, daß Heimbewohner zumeist Schlaftabletten nehmen, da es in einem Heim in der Nacht eben doch nicht so ruhig ist wie in einem Haus auf dem Land.

Wir möchten uns hier aber nicht weiter mit Spekulationen beschäftigen, sondern vielmehr darauf aufmerksam machen, daß diese Zahl, wenn man sich die vorige Frage anschaut, sehr erstaunt.

Wer Medikamente einnehmen muß, ist nicht gesund, dennoch kann er sich aber offensichtlich gesund fühlen. Auch diese Antworten bestätigen unsere These von der veränderten Gesundheitsdefinition.

Das Vertrauen in die Medizin wird im Heim von 27% als sehr groß und von 42% als groß angegeben.

Dieser Anteil ist etwas geringer als jener der Gesamtauswertung, beträgt aber immer noch mehr als zwei Drittel. Die Frage, die sich hier vor allem stellt, ist jene nach dem Zusammenhang dieser Zahlen mit den Angaben über das persönliche Befinden. Wir glauben dabei nicht an einen Zufall, sondern meinen, daß das verbindende Glied dabei der Tablettenkonsum ist.

Wenn es die Medizin ermöglichen kann, daß die Einnahme von Chemie in konzentrierter Form ausreicht, um sich gesund zu fühlen, dann scheint es verständlich, daß das Vertrauen in diese Medizin sehr groß ist.

56% der Heimbewohner haben Kinder.

Diese Zahl ist doch deutlich niedriger als jene der Gesamtauswertung, die bei 84% lag. Da es sich nach den obigen Angaben hier aber durchaus um Heimbewohner handelt, die keiner fachgerechten Pflege und Betreuung bedürfen, müßte man hier hinterfragen, warum jene 56%, die Kinder haben, ebenfalls das Heim als Wohnform wählten.

Der Auftrag eines Heimes ist es grundsätzlich, jene Menschen aufzunehmen, die sich nicht mehr oder nur mehr unzureichend selbst versorgen und die keine Hilfe mehr rekrutieren können.

Auch die besseren Möglichkeiten des sozialen Kontaktes sind hier kein Argument; denn wer Kinder und möglicherweise Enkelkinder hat, müßte an sich genug Sozialkontakte haben.

Leider zeigt die langjährige Berufserfahrung aber auch in diesem Punkt immer wieder, daß in unserer Gesellschaft etwas falsch läuft. Einerseits propagieren alle groß, wie wichtig die Familie ist und wie sehr man um das Wohlergehen der älteren Familienmitglieder besorgt ist, andererseits ist es schlußendlich aber häufig doch bequemer, für die Angehörigen einen Platz im Heim zu suchen und zu finanzieren, als sie in die eigene Familie aufzunehmen und sich um sie zu kümmern.

Dabei wäre das auch heute noch – in einer Zeit, wo man ständig Kinderbetreuungsplätze sucht – die ideale Wohnform.

Im Heim zählen zu den bestimmenden Faktoren der Lebensqualität mit 39% die Musik, mit 34% Tiere, mit 25% Reisen, mit 22% Religion und mit 17% das Geld.

Auch im Heim scheint das Leben bzw. die Lebensqualität eher von stationären Ereignissen geprägt zu sein, wenngleich es einige kleine Verschiebungen gibt: Reisen ist für die Heimbewohner ebenso wie Geld weniger wichtig, dagegen nehmen die Tiere an Bedeutung zu. Daraus läßt sich schließen, daß die Menschen hier ihre Wünsche den Gegebenheiten anpassen. Das gesundheitliche Befinden wird dabei abermals einfach als gegeben hingenommen. 

Schlußbetrachtung

Es war für uns anfangs sehr erstaunlich, daß ein beträchtlicher Prozentsatz der Befragten angegeben hat, sich sowohl körperlich als auch seelisch gesund zu fühlen. Erstaunlich deswegen, weil wir davon ausgingen, daß in dieser Altersgruppe der "Zahn der Zeit" doch schon Spuren hinterlassen haben müßte.

Im Laufe unserer Arbeit haben wir aber festgestellt, daß sich "gesund fühlen" den Antworten zufolge keineswegs gleichgesetzt werden kann mit dem, was man allgemein unter "gesund sein" versteht. Es wäre deshalb zu hinterfragen, wie die älteren Menschen Gesundheit definieren.

Bedeutet Gesundheit einen Zustand völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und damit das Fehlen von Erkrankungen und pathologischen Veränderungen, oder bedeutet Gesundheit das subjektive Empfinden von erträglichen körperlichen, geistigen und seelischen Störungen?

An dieser Stelle möchten wir die Ergebnisse einer Studie, die von der Schulpsychologie-Bildungsberatung im Akademischen Gymnasium in Graz durchgeführt wurde, anführen. Diese Studie diente der Erfassung der Schüler/innenbefindlichkeit in der AHS. In einer Fragebogenerhebung wurden insgesamt 509 Schüler (225 Burschen und 284 Mädchen) aus 22 Klassen befragt.

Für uns sind dabei die Fragen nach der Gesundheit interessant: 91,6% der Mädchen und 93,3% Burschen bezeichnen ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut. Weiters geben 9,9% der Mädchen und 6,9% der Burschen an, regelmäßig Medikamente einzunehmen.

Diese Zahlen entsprechen sich also, was bedeutet, daß sich diejenigen, die Medikamente einnehmen, auch nicht gesund fühlen. Die Antworten der Jugendlichen können somit unter Berücksichtigung der allgemeinen Gesundheitsdefinition betrachtet werden. (8)

Ein großer Teil der älteren Menschen fühlt sich zwar ebenfalls gesund, ein ungefähr gleich großer Teil von ihnen steht aber in ärztlicher Behandlung, und die Zahl derjenigen, die Medikamente nehmen, ist noch höher. Dies ergibt einen Widerspruch, wenn man von jener Definition von Gesundheit ausgeht, die einen Zustand meint, in dem pathologische Veränderungen nicht nachgewiesen werden können, denn das Verordnen von Medikamenten dient letztendlich zum überwiegenden Teil therapeutischen Zwecken und damit dem Eingriff in pathologische Prozesse.

Wir meinen, daß sich aus den Fragen, die wir in unserer medizinischen Analyse betrachtet haben, durchaus herauslesen läßt, daß ältere Menschen eine andere Definition von Gesundheit haben. Wir glauben daß diese Menschen es einfach hinnehmen, mit den körperlichen Gebrechen, die sich mit dem Alter allmählich einstellen, zu leben. Alter ist für sie in der Folge gleichbedeutend mit zunehmender Immobilität.

Gestützt ist unsere Meinung darauf, daß sportliche Aktivitäten im engeren Sinn wie Laufen, Schwimmen, Skifahren, Tennis etc. im Alter nur mehr eine marginale Rolle spielen, da das körperliche Befinden das Betreiben dieser Sportarten einfach nicht mehr zuläßt, und daß die sportliche Betätigung der Befragten sich deshalb hauptsächlich auf Spazierengehen und Wandern beschränkt.

Nun könnte man sagen, daß es ja durchaus positiv zu beurteilen ist, wenn ältere Menschen ihren körperlichen Ressourcen entsprechend handeln. Wie wir oben bereits ausgeführt haben, stimmt dies allerdings nur zum Teil. Natürlich ist es gut, daß sie wenigstens spazierengehen, aber es wäre eben noch besser, wenn sie aufgrund einer lebenslangen Förderung der Fitneß und Gesundheit auch im Alter noch solche Sportarten betreiben könnten, die Ausdauer und ein gewisses Maß an Kraft voraussetzen.

Die Befragten dagegen haben einfach ihre Freizeitgestaltung geändert. Fernsehen, Radio und Lesen, das heißt, Tätigkeiten, die man ohne körperliche Aktivität ausführen kann, bestimmen nun das Leben. Dinge, die zumindest noch ein gewisses Maß an Mobilität voraussetzen, nämlich Vereinstätigkeit, Chor, Konzert, Kino, Tanz etc. machen ebenfalls nur einen wesentlich geringeren Prozentsatz aus.

Dies mag zwar zum Teil daran liegen, daß rund zwei Drittel der Befragten kein Auto besitzen und deshalb – vor allem am Land – in ihrer Grundmobilität eingeschränkt sind, zum Teil spielt unserer Meinung nach auch hier die Tatsache eine Rolle, daß man die Lebensgestaltung dem körperlichen Zustand anpaßt und somit den gegebenen Gesundheitszustand einfach hinnimmt.

Außerdem zeigt sich der Widerspruch, den wir aufzuzeigen versuchten, auch in der Frage bezüglich der Lebensqualität. Hier zeigt das Ergebnis, daß Musik, Reisen und Tiere die häufigsten Antworten waren. Die beiden letztgenannten setzen ein gewisses Grundmaß an Mobilität voraus und sind somit mit der Einstellung, das gesundheitliche Befinden einfach hinzunehmen nicht in Einklang zu bringen.

Die Grundfrage dieser Studie, ob Lebensqualität mehr als Gesundheit bedeutet, scheint ebenfalls sehr stark von der jeweiligen Definition abhängig zu sein. Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß ältere Menschen eine andere Definition haben. Sie reisen zwar gerne, doch wenn die Gesundheit dies nicht mehr erlaubt, finden sie sich damit ab und lesen statt dessen oder setzen sich vor den Fernseher.

Wenn man sich nun die Frage stellt, ob Altern Lust oder Last ist, dann glauben wir, daß es aufgrund der eklatanten Verschiebung der Werte in Richtung Immobilität und Eintönigkeit eher Last sein muß.

Man könnte hier die provokante Frage stellen, was es denn eigentlich, in Anbetracht all der dargestellten Punkte, überhaupt erstrebenswert macht, möglichst alt zu werden.

Da die Lebenserwartung in den nächsten Jahren vermutlich noch zunehmen wird, muß man sich die Frage stellen, was man tun kann, um die Lebensqualität der älteren Menschen zu verbessern. Eine wichtige Rolle wird dabei die Medizin spielen. Wir meinen nämlich, daß die gesundheitlichen Beschwerden nicht erst mit dem Alter beginnen, sondern im Laufe des ganzen Lebens erworben werden. Schauen wir uns doch die Körperhaltung der Jugendlichen an; verwundert es da wirklich, daß die älteren Menschen körperlich so gebrechlich sind?

In der Medizin wird vor allem die Präventivmedizin einen wichtigen Part übernehmen und durch geeignete Maßnahmen Fehlhaltungen verhindern, korrigieren oder wenigstens die Spätfolgen minimieren. Darüber hinaus wird sich aber auch unsere Gesundheitspolitik ändern müssen. Doch nicht nur die Mediziner mit ihrer fachlichen Kompetenz sind aufgefordert, etwas zu tun, auch die Politiker dürfen sich in ihren Lösungsstrategien, um das Spitalswesen weiterhin finanzierbar zu machen, nicht darauf beschränken, neue Finanzierungsmodelle zu entwickeln, sondern sollten sich lieber überlegen, wieviel Geld man einsparen könnte, wenn durch gezielte Präventivmedizin viele pathologische Beeinträchtigungen gar nicht erst auftreten müßten.

Abschließend müssen wir die ganz zu Beginn gestellten Fragen nach der Last und Lust beantworten: Krankheit muß, wie diese Studie gezeigt hat, subjektiv nicht immer als Last empfunden werden. Doch selbst wenn man glaubt, gut damit leben zu können, beeinträchtigt sie, objektiv betrachtet, die Lebensqualität doch erheblich. Wenn man seine Erwartungen und Wünsche an das Leben sukzessive zurückschraubt, anstatt zu versuchen, etwas dagegen zu unternehmen, wird das Leben eines Tages unweigerlich zur Last werden. Diese wird allerdings von vielen Menschen als sehr groß empfunden, und mit einem Schlag scheint das Leben nicht mehr lebenswert zu sein. Wir fordern deshalb alle auf, sich unsere Ausführungen zu Herzen zu nehmen und rechtzeitig etwas für die Gesundheit zu tun. Die Menschen beschränken sich allgemein meist darauf, zu reagieren, anstatt zu agieren. In gesundheitlichen Belangen hat diese Einstellung leider oft Auswirkungen, die nicht mehr korrigierbar sind.

Die Frage, ob es Lust ohne Gesundheit gibt, beantworten wir ganz klar mit nein. Alles, was wir tun, hängt letztlich von unserem Gesundheitszustand ab. Da wir nun hinreichend ausgeführt haben, welche Möglichkeiten es gibt, die Gesundheit frühzeitig zu fördern und damit die Lebensqualität zu verbessern, möchten wir am Ende noch die Frage stellen, warum sich der Mensch, der bekanntlich ein Genußspecht ist und für den Lust folglich etwas Wichtiges ist, das Leben durch jahrzehntelange Ignoranz gerade in der Zeit zur Last macht, wo er eigentlich am meisten Zeit hätte, das Leben in vollen Zügen zu genießen.

(1)    Es handelt sich bei diesen Fragen unter anderem um Fragen nach dem Medikamentenkonsum, wo wir über keinerlei Angaben über die Art der Medikamente verfügen. Da ich als Neurologe aber alltäglich mit der Aufnahme von Patienten beschäftigt bin, die zu Hause oder in einem Heim bereits Medikamente eingenommen haben, glaube ich doch, einen ganz guten Überblick zu haben, welche Medikamente in der Regel verordnet werden. Dieser Einblick aus meinem Berufsleben soll nun zum einen die Zahlen dieser Studie stützen, zum anderen aber auch eine gute Ergänzung bilden und in einigen Bereichen die nicht gestellten Fragen ersetzen.

(2)    Die Anerkennung der Migräne als Krankheit dauerte recht lange. Mit dem allgemeinen Fortschritt in der Gehirnforschung konnten allmählich die Vorgänge, die bei einem Migräneanfall im Gehirn ablaufen, allerdings genau nachgewiesen werden, und diese Erkenntnisse haben die Migräne schließlich vom Image einer "billigen Ausrede" befreit.

(3)    In diesem Punkt fühlen wir uns auch durch den Leserbrief von Dr. Siegfried Wess, Praktischer Arzt in St. Georgen ob Judenburg, in der Kleinen Zeitung vom 3. August 1999 bestärkt, in dem er schildert, daß er seinen Patienten täglich 24 Stunden zur Verfügung steht. Er schreibt weiters, daß die Bevölkerung dies durchaus zu schätzen weiß und mit ihren Problemen deshalb lieber zu ihm kommt, als ins Krankenhaus zu gehen.

(4)    Die letzte Gruppe ist aber auch deshalb besonders gefährdet, weil sie ihre Beschwerden meist nur symptomatisch bekämpft. Zu dieser Gruppe zählen unter anderem Diabetiker, die keine Diät einhalten, weil sie glauben, daß die "Zuckertabletten" bzw. Insulindosen die Krankheit ausreichend bekämpfen würden. Sehr häufig kann man hören, daß diese Menschen sogar damit prahlen, alles essen zu können, weil sie ohnedies nur die Insulindosis erhöhen müßten. Wenn sie dann noch gegen ihre Herzbeschwerden und/oder Gicht und Rheumatismus Tabletten verschrieben bekommen, fühlen sie sich wieder ganz "gesund".

(5)    Wir reden zwar viel von unserer "kranken Gesellschaft"; daß dieses Kranksein aber schon im kleinen Bereich sichtbar wird, nämlich dann, wenn ältere Menschen im Arztbesuch sozialen Kontakt suchen oder wenn sie Krankheiten vorgeben, um von ihren Kindern besucht zu werden, übersehen wir häufig. Gerade die Forschung beschränkt sich immer wieder darauf, die Probleme global zu betrachten, und übersieht deshalb naheliegende und manchmal auch recht einfache Lösungsansätze.

(6)    Die Medizinsoziologie Graz wird sich in der nächsten Zeit intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen, und wir freuen uns darauf, dabei mitwirken zu können. Da uns dieses Thema sehr wichtig ist, hoffen wir, durch unsere Erfahrung einen sinnvollen Beitrag leisten zu können. Es scheint hinkünftig jedenfalls unumgänglich zu werden, in hohem Maß auf präventivmedizinische Maßnahmen zu setzen. Diese werden aber nur dann angenommen werden, wenn sich die Einstellung der Bevölkerung zur Gesundheit entsprechend ändert.

Unser persönliches Anliegen für die nächsten Jahre ist es, auf diesem Gebiet etwas verändern und bewegen zu können, und wir glauben, daß der Zusammenschluß von soziologischer und medizinischer Fachkompetenz eine gute Basis dafür bietet.

(7)    Wir wollen den Ärzten hier keinesfalls unterstellen, Medikamente zu verschreiben, die nicht notwendig sind, wir glauben aber, daß es für die Ärzte manchmal unmöglich ist, in der kurzen Zeit, die ein Konsiliarbesuch gewöhnlich dauert, wirklich feststellen zu können, ob dem Patienten tatsächlich etwas fehlt. Unwohlsein, Schwindel, Abgeschlagenheit und Mattigkeit, Schlafstörungen, ja selbst Magenbeschwerden und Verdauungsprobleme sind gute Beispiele dafür, wo man auch als fachkundiger Mediziner manchmal den Angaben der Patienten einfach Glauben schenken muß, da die Beschwerden nicht immer faßbar sind.

(8)    Mag. Andreas Tankel, Schulpsychologie Graz-Stadt, Studie zur Schüler/innenbefindlichkeit in der AHS. In: Jahresbericht des Akademischen Gymnasiums in Graz 1998/99.

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