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Orthopädie als Sparte der Altersmedizin

Klaus ENGELKE, Ingo KOBENZ

Eine Vielzahl von Faktoren, die bei der Behandlung orthopädischer Erkrankungen speziell des älteren Patienten zutreffen, wie z.B. die häufige Polymorbidität oder die grundsätzlich wesentlich verschlechterte allgemeine körperliche Koordinationsfähigkeit, erzwingen differenziertere Remobilisationsstrategien in der Behandlung selbst und lassen eine wesentliche Verkürzung der gesamten postoperativen Behandlung aus rein pathophysiologischen Gegebenheiten oft gar nicht zu.

Schwerpunkt einer entsprechenden Behandlungsstrategie ist die frühestmögliche Mobilisierung des Patienten und letztendlich seine soziale Reintegration. Dabei konzentrieren sich die Behandlungsschwerpunkte auf die Erkrankungen des Bewegungsapparates und bewegen sich somit in erster Linie auf dem medizinischen Fachgebiet der Orthopädie.

Die Orthopädie ist in diesem Behandlungsbereich vorwiegend als Sparte der Altersmedizin anzusehen und steht häufig vor dem Problem, diesem teilweise schwer erkrankten Patientenkollektiv die Wiedererlangung einer sozialen Reintegration und damit weitestgehende Selbständigkeit zu ermöglichen. Beides wäre aber die Voraussetzung für die postoperative Wiedereingliederung in das sogenannte präoperative Umfeld des Patienten.

Der Erfolg im Sinne des Erreichens dieses Therapiezieles hat einerseits individuelle Bedeutung hinsichtlich der anschließenden Lebensqualität des älteren Menschen, andererseits aber sehr wohl auch einen nicht unerheblichen volkswirtschaftlichen Effekt.

Besondere Bedeutung bekommt dies speziell für den älteren Patienten durch die Auswirkungen der Umstellung der öffentlichen Spitalsfinanzierung LKF (Leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung) und der dadurch angestrebten Verkürzung der Liegedauer in "chirurgischen" Betten. Denn dieses neue Finanzierungskonzept, das derzeit in erster Linie in den öffentlichen Spitälern und in einigen Ordensspitälern Anwendung findet, erzwingt im Zuge der ins Auge gefaßten Ökonomisierung des österreichischen Gesundheitswesens grundsätzlich und speziell in bestimmten Bereichen der Altersmedizin eine relevante Verkürzung der Krankenhausliegezeiten besonders in Akutspitälern.

Das orthopädische Krankenhaus Theresienhof hat besonders in bezug auf diesen Behandlungsbereich aufgrund seiner engen Einbindung als Privatkrankenanstalt in das öffentliche Spitalswesen der Steiermark einen Modellcharakter. In diesem sogenannten Angliederungssystem zwischen den orthopädisch-chirurgischen Abteilungen der öffentlichen Krankenanstalten und der Privatkrankenanstalt Theresienhof als orthopädisch-postoperatives Behandlungszentrum sind die optimalen Behandlungsbedingungen als Ausdruck einer möglichst hohen Behandlungsqualität für die jeweiligen Therapieintervalle einerseits und die dadurch möglichen Kostenreduktionen andererseits, die der entsprechenden Medizin übergeordneten Ziele.

Eine mögliche Gefahr dieses Systems hinsichtlich der Erreichung vorwiegend der ökonomischen Ziele vor allem der Akutspitäler ist die frühestmögliche Transferierung des Patienten aus dem zuständigen LKF-System z.B. in das für die Rehabilitation zuständige Pensionsversicherungssystem. Diesem möglichen Trend gilt ein Schwerpunkt dieser Arbeit, da besonders der ältere orthopädische Patient aufgrund des grundsätzlich postoperativ erhöhten Pflegeaufwandes eher wesentlich später als der jüngere Patient rehabilitationsfähig ist. Rehabilitationsfähig im herkömmlichen Sinne gilt ein Patient nämlich erst dann, wenn er die Kriterien der Pflegestufe A1 erfüllt, also die weitestgehende Selbständigkeit bereits wiedererlangt hat und einer Pflegebetreuung im Sinne eines dem Krankenhaus entsprechenden Pfegeaufwandes nicht mehr bedarf.

Die Ausnutzung der sogenannten ökonomischen Potentiale zwingt dabei vor allem die chirurgisch tätigen Abteilungen, den Patientendurchsatz deutlich zu erhöhen. Das bedeutet, daß bei gleichbleibenden OP-Kapazitäten eine höhere OP-Zahl dadurch erreicht wird, daß die prä- und postoperativen Liegezeiten wesentlich verkürzt werden. Die Versorgung im Sinne einer differenzierten postoperativen Nachbehandlung speziell nach orthopädischen Operationen älterer Patienten (z.B. Osteosynthesen nach gelenksnahen Frakturen, künstlicher Gelenksersatz) muß daher sowohl hinsichtlich der medizinischen Qualität als auch hinsichtlich der Quantität in immer größerem Ausmaß gewährleistet werden. Neben der erfolgreichen operativen Strategie stellt dabei besonders diese Qualität der postoperativen Remobilisation eine wesentliche Voraussetzung zur vollständigen bzw. schnellstmöglichen sozialen Reintegration dar.

An der vorliegenden Studie nahmen 72 Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 71,5 Jahren teil. In diesem Kollektiv befanden sich ausschließlich Patienten mit orthopädischen Erkrankungen entweder des Hüft- oder Kniegelenkes, wobei es sich in erster Linie um den Status nach Gelenksersatzoperationen handelt. Untersucht wurde die Frage, ob es mit dem speziellen Modell der Angliederung von privaten Krankenanstalten an öffentliche Spitäler unter den speziellen Aspekten der unterschiedlichen Finanzierungssysteme möglich ist, gerade dem älteren orthopädischen Patienten durch die Diversifikation der postoperativen Behandlung zu einem hohen Prozentsatz die soziale Reintegration in das präoperative Umfeld zu ermöglichen. Darüber hinaus sollte aufgezeigt werden, ob es aufgrund der unterschiedlichen Finanzierungssysteme Verschiebungen zwischen den Kostenträgern (LKF und Pensionsversicherungen) gibt.

Diese vorliegende Studie zeigt, daß unter Einhaltung von klar definierten Qualitätskriterien das Angliederungsmodell den spezifischen Krankheitsbedingungen des älteren Patienten am ehesten gerecht wird und den Patienten dieses beobachteten Kollektivs zu einem Prozentsatz von über 90% eine soziale Reintegration ermöglicht. Es zeigt aber auch, daß von seiten der öffentlichen Spitäler versucht wird, in der frühen postoperativen Remobilisation den Kostenträger von dem LKF-System hin zur Pensionsversicherung zu wechseln. Das Pflegestufenprofil zeigt dagegen aber klar, daß der ältere orthopädische Patient zu diesem Zeitpunkt bei weitem nicht im klassischen Sinne rehabilitationsfähig, sprich selbstversorgend, ist. Die notwendige Pflegeintensität ist bei einer beträchtlichen Patientenanzahl zu diesem Zeitpunkt zu hoch. Damit entspricht das Pflegestufenprofil in der Rehabilitation dem der Krankenhauspatienten.

Der frühe Transfer besonders des älteren orthopädischen Patienten in die klassische Rehabilitation ist daher in der Regel nicht möglich und wird bei Zugrundelegung der derzeitigen Rehabilitätskriterien die vorliegenden Ergebnisse dieser Studie nicht erreichen. Das vorliegende Angliederungsmodell ermöglicht die qualitativ höchste postoperative Remobilisation mit der notwendigen Pflegeintensität, und damit ist das Ziel einer sozialen Reintegration zu einem hohen Prozentsatz möglich.

Die mögliche Reintegration in das ursprüngliche Umfeld kann nach einem entsprechenden Krankenhausaufenthalt, einer orthopädischen Operation, Remobilisation oder Rehabilitation nur möglich werden, wenn eine ausreichende selbständige Mobilität wiedererlangt wird. Hier wird es notwendig sein, sich speziell beim älteren orthopädischen Patienten nicht nur den herkömmlichen klassischen Therapiezielen wie Verbesserung der Grundkraft, Kraftausdauer, Mobilität etc., sondern in ganz verstärktem Ausmaß der Therapie von koordinativen Defiziten zuzuwenden. Das erfordert aber notwendigerweise die Entwicklung von neuen Untersuchungs- und Testformen und bedingt auch eine Verschiebung der Therapiemaßnahmen hinsichtlich der Qualität, Quantität und Zuordnung der einzelnen Therapieformen zueinander.

Grundsätzlich unterliegt der Einsatz der jeweils vorhandenen Therapien unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten, die speziell bei älteren Patienten erheblich variieren können. Die notwendige Variabilität des Therapieeinsatzes ist dabei abhängig von der Polymorbidität, dem grundsätzlichen allgemeinen Gesundheitszustand und damit der jeweiligen Pflegeintensität sowie der vor dem Therapiebeginn bestehenden Mobilität des Patienten. Daraus ergibt sich eine notwendigerweise individuellere Abstimmung aller an den Therapiemaßnahmen beteiligten Personen. Die zukünftigen Verbesserungen hinsichtlich des qualitativen outcomes dieses Patientenkollektives werden jedoch von einer noch wesentlich genaueren und den Defiziten des Patienten entsprechenden therapeutischen Ansteuerung durch die einsetzbaren Therapiearten, den Therapieintensitäten und den entsprechenden medizinischen Begleitmaßnahmen abhängen. Darüber hinaus wird es in wesentlichem Umfang notwendig sein, dem älteren orthopädischen Patienten während der Remobilisation die entsprechenden Pflegemaßnahmen zukommen lassen zu können.

Diese Möglichkeiten bietet derzeit in erster Linie das System des sog. Angliederungsmodells. Hier ist einerseits eine genaue Abstimmung der Therapievariablen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen des orthopädischen Patienten möglich, andererseits entscheidet aber eine klare Schnittstellendefinition über die Effizienz der Patientenversorgung. Das bedeutet, daß Remobilisation, also frühe postoperative stationäre Behandlung des orthopädischen Patienten im Rahmen der Angliederung zu geschehen hat und damit in das LKF fällt, auch wenn diese Behandlung über private Krankenanstalten, die sich auf diese Behandlungsformen spezialisiert haben, durchgeführt werden sollten.

Die Erfahrungen im Rahmen dieser Studie zeigen, daß die Widerstände weniger im Bereich zwischen öffentlichen und privaten Institutionen oder zwischen öffentlich und privat durchgeführten medizinischen Leistungen liegen, sondern in erster Linie in den Verwaltungsbereichen der öffentlichen Einrichtungen einerseits und dem Druck zur Bettenreduktion der öffentlichen Abteilungen andererseits bestehen. Abteilungen mit knapp bemessenen Bettenkapazitäten nutzen das Angliederungsmodell weitestgehend im Gegensatz zu Abteilungen, bei denen eine drohende Bettenreduktion bevorsteht. Darüber hinaus kann eine Angliederung nur dann funktionieren, wenn das System von den beteiligten medizinischen Abteilungen mit der größtmöglichen Flexibilität gehandhabt werden kann. Die Zuerkennung von sogenannten Patientenkontingenten (z.B. pro chirurgisch tätiger Station können nur fünf Patienten gleichzeitig angegliedert werden) erweist sich als verwaltungstechnisch aufwendig und medizinisch häufig als sinnwidrig. Das konterkariert einen wesentlichen Vorteil des Angliederungsmodells, nämlich den Patiententransfer mit geringstmöglichem Verwaltungsaufwand.

Von seiten der "zu großen" chirurgischen Abteilungen verlängert sich die Liegezeit des Patienten in der Abteilung selbst, und er wird dann nicht zuletzt in Pflegeheime entlassen, oder es wird ein Transfer in die klassische Rehabilitation versucht. Das wiederum erfordert eine wesentlich exaktere Schnittstellendefinition der Pensionsversicherungen hinsichtlich der Rehabilitation und der postoperativen Remobilisation speziell des älteren orthopädischen Patienten. Der ältere orthopädische Patient ist postoperativ im Sinne der herkömmlichen Definition in der Regel nämlich nicht rehabilitationsfähig. Nach den neuesten Regelungskriterien in den Bereichen der Rehabilitation kann das bedeuten, daß der Patient ohne die Möglichkeit einer Einbindung in das Angliederungsmodell zwischen dem Ende des Aufenthaltes im chirurgischen Akutspital und dem Beginn der sog. klassischen Rehabilitation ca. 8 bis 10 Tage unversorgt bleibt.

Daher ist eine diesbezügliche Schnittstellendefinition im Bereich der privaten orthopädisch-chirurgisch tätigen Spitäler (derzeit in erster Linie die UKH’s) besonders dringlich, da hier durch die Nichteinbindung dieser chirurgisch tätigen Spitäler in das LKF-System eine Integration eben dieser Abteilungen in das Angliederungsmodell ökonomisch unmöglich ist. Hier besteht die qualitative postoperative Remobilisation nur über den Weg der sogenannten klassischen Rehabilitation mit allen o.a. Problemen.

Der Verlauf der Studie zeigt, daß grundsätzlich das medizinische Funktionieren des Angliederungssystems unbestritten ist sowohl hinsichtlich der Ökonomie als auch hinsichtlich der Behandlungseffizienz speziell des älteren orthopädischen Patienten. Die Studie deckt aber auch auf, daß sich unter gewissen Bedingungen der Druck in die sogenannte klassische Rehabilitation des gleichen Patienten in erster Linie aus unterschiedlichen ökonomischen Beweggründen deutlich erhöht, daß aber eine postoperative Behandlung gleicher Qualität im Rahmen der klassischen Rehabilitation nicht zuletzt aufgrund der dafür zu hohen Pflegestufen in der Regel medizinisch nicht möglich und ökonomisch in Zukunft nicht haltbar sein wird.

Die Langfassung der Studie kann über das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 8010 Graz, RESOWI-Zentrum, Universitätsstraße 15, F/2, Tel. 0316/380/3520, bezogen werden.

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