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Mobilität älterer Menschen in der Steiermark

Gerd Sammer, Gerald Röschel

1. Einleitung und Problemstellung

Mobilität ist ein sehr vielschichtiger Begriff und wird allgemein als "Beweglichkeit" definiert. Sie ermöglicht die Überwindung von geistigen, sozialen, kulturellen und räumlichen Grenzen. Im Rahmen der vorliegenden Studie wird die Mobilität der älteren Menschen in der Steiermark im Sinne der Überwindung von räumlichen Grenzen bearbeitet. Mobilität ermöglicht es also, verschiedene Standorte aufzusuchen, um dort Aktivitäten durchzuführen. Diese Aktivitäten werden in der Verkehrsplanung in 5 sogenannte "Daseinsgrundfunktionen" eingeteilt: Wohnen, Arbeiten, Ausbildung, Versorgen, Erholen. Die Möglichkeit, mobil zu sein, wird heute allgemein als hoher gesellschaftlicher Wert empfunden (Mobilität ermöglicht auch Kommunikation) und stellt deshalb einen fundamentalen Teil unserer Lebensqualität dar. Um mobil sein zu können, bedarf es einer Reihe von Voraussetzungen:

  • Persönliche Verfügbarkeit über "Verkehrsmittel": Hierzu zählen z.B. die körperlichen Voraussetzungen, gehen zu können und/oder über ein Fahrzeug (Fahrrad, Auto usw.) zu verfügen und es betreiben zu können;
  • Infrastrukturelle Voraussetzungen, die eine Raumüberwindung mit den persönlich zur Verfügung stehenden "Verkehrsmitteln" ermöglichen: Hierzu zählt z. B. die Problematik, ob in ausreichender Entfernung ein öffentliches Verkehrsmittel vorhanden ist;
  • Ausstattung der Umgebung (= Einzugsbereich, der sich aus den beiden erstgenannten Voraussetzungen ergibt) mit ausreichender Versorgungsinfrastruktur: Die heutige Raumstruktur mit ihrer Tendenz zur Konzentration von Versorgungseinrichtungen (z.B. Einkaufszentren auf der grünen Wiese) bewirkt, daß in manchen Gegenden eine Versorgung nur mit dem Auto möglich ist.

Ältere Menschen haben im Vergleich zu jüngeren Menschen sowohl ein anderes Mobilitätsverhalten als auch spezifische Anforderungen an die Ausstattung der Verkehrsinfrastruktur. Das Mobilitätsverhalten wird vor allem durch den Eintritt in die Pension verändert, während die speziellen Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur durch altersbedingte Körpergebrechen (Sehschwäche, Bewegungseinschränkungen usw.), aber auch durch soziale Rahmenbedingungen (z.B. geringes Einkommen) hervorgerufen werden.

Im Rahmen des vorliegenden Berichtes sollen die folgenden Fragestellungen in bezug auf ältere Personen beantwortet werden:

  • Wie unterscheidet sich das Mobilitätsverhalten der Senioren von anderen Bevölkerungsgruppen?
  • Wie groß ist die Fahrzeugverfügbarkeit und der Führerscheinbesitz von Senioren?
  • Was sind die Mobilitätsprobleme im Alltag und welche Verbesserungsvorschläge können aus der Sicht der Betroffenen gemacht werden?
  • Welche Anforderungen haben ältere Personen an eine seniorengerechte Verkehrsinfrastruktur?

Aus den analysierten Mobilitätsdaten und den von den Befragten genannten Verkehrsproblemen und Verbesserungsvorschlägen werden Anforderungen an eine seniorengerechte Verkehrsinfrastruktur abgeleitet. Es zeigt sich allgemein, daß das Thema der Mobilität von Senioren in der Verkehrswissenschaft bis jetzt nur sehr wenig behandelt wurde. Die Untersuchung soll mithelfen, die Bedürfnisse der älteren Mitmenschen zu identifizieren und diese damit besser in der Verkehrsplanung berücksichtigen zu können.

Hinweis: Der vorliegende Bericht stellt eine gekürzte Version dar, in der nicht alle Ergebnisse (Abbildungen) enthalten sind. Die vollständige Fassung ist beim Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Graz erhältlich.

2. Verwendete Datengrundlage

Diese Untersuchung baut auf zwei Datenquellen auf:

  • Mobilitätserhebung der steirischen Wohnbevölkerung 1995, die im Rahmen der österreichweiten Mobilitätserhebung VEVÖ für den Bundesverkehrswegeplan durchgeführt wurde
  • Vertiefende Befragung von Senioren und Seniorinnen über ihre Mobilitätserfahrungen und -probleme 1998. Diese Befragung wurde speziell für diese Untersuchung durchgeführt.

2.1. Mobilitätsverhaltensdaten

Zur Analyse des Mobilitätsverhaltens wurde die Befragung VEVÖ (Herry, Sammer et al. 1997) verwendet, die im Herbst 1995 im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes Österreich durchgeführt wurde. Im Rahmen der Befragung VEVÖ wurden 6.594 Personen in der Steiermark befragt, das entspricht einer Stichprobe von 0,6% der Wohnbevölkerung. Als Ergebnis der Befragung VEVÖ standen gewichtete Daten zur Verfügung, die eine repräsentative Klumpenstichprobe von steirischen Gemeinden darstellen. Diese Daten wurden vom Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr bereitgestellt.

Die Daten wurden im Rahmen des Projektes "Altern: Lust oder Last" für die steirische Wohnbevölkerung analysiert und dargestellt. Alle Daten beziehen sich auf den werktäglichen Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung ab 6 Jahren im Jahr 1995.

2.2. Vertiefte Befragung älterer Menschen

Im Rahmen des Projektes "Altern: Lust oder Last?" wurde von Prof. Grossmann eine Befragung von Seniorinnen und Senioren durchgeführt. An die Befragung wurde auch ein Fragebogen mit verkehrsrelevanten Fragen angeschlossen. Darin wurden qualitative Informationen über Probleme, Verbesserungsvorschläge und Einstellungen der älteren Menschen abgefragt.

In vertieften mündlichen Interviews wurden 48 Männer und 75 Frauen zu ihren Problemen und Verbesserungsvorschlägen befragt, diese fanden im Sommer und Herbst 1998 statt. Die Befragung wurde von der Arbeitsgemeinschaft Sozialmedizin durchgeführt. Der verkehrsspezifische Fragebogen wurde vom Büro Sammer erarbeitet.

2.3. Definitionen

 Für die Auswertung und Diskussion der Daten wurden folgende Definitionen angewendet:

  • Ältere Menschen (Senioren):

    Es wird keine exakte Altersgrenze für den Begriff "älterer Mensch" verwendet, da diese Grenze stark von anderen Einflüssen wie persönlichem Befinden, Gesundheit usw. abhängt. Es wird durch die Betrachtung der folgenden Altersklassen versucht, den Einfluß des Alters auf das Mobilitätsverhalten zu analysieren und grundlegende Tendenzen festzustellen:

    • 6 bis 54 Jahre,
    • 55 bis 64 Jahre,
    • 65 bis 74 Jahre,
    • 75 bis 84 sowie
    • über 85 Jahren.
      Die Altersklassen von 75 bis 84 sowie über 85 mußten bei bestimmten Auswertungen aus Stichprobengründen zusammengefaßt werden.
  • Daseinsgrundfunktionen:

        Die täglichen Aktivitäten der Menschen können nach den folgenden fünf "Daseinsgrundfunktionen" eingeteilt werden:

    • Wohnen
    • Arbeiten
    • Bildung
    • Versorgen (private Erledigung, Einkauf)
    • Erholen (Freizeit)
  • Weg:

        Ortsveränderung zwischen dem Standort von zwei Daseinsgrundfunktionen (Wohnen, Arbeiten, Bilden, Versorgen, Erholen).

  • Ausgang:

        Ortsveränderung zwischen dem Verlassen des Wohnhauses und der Rückkehr zum Wohnhaus (bei einem Ausgang können mehrere Wege erledigt werden).

  • Verkehrszweck:

        Der Verkehrszweck eines Weges definiert sich durch den Zweck am Ausgangspunkt (Quellzweck) und am Ziel des Weges (Zielzweck). Folgende Zwecke werden unterschieden:

    • Personenwirtschaftsverkehr (dienstlich, geschäftlich)
    • Berufspendlerverkehr
    • Ausbildungspendlerverkehr
    • Erledigungs- und Einkaufsverkehr (privat)
    • Freizeitverkehr
  • Verkehrsmittel:

        Für manche Wege werden mehrere Verkehrsmittel benutzt. Um eine übersichtliche Auswertung und Darstellung zu ermöglichen, ist für einige Auswertungen eine Verringerung aller im Rahmen eines Weges genutzten Verkehrsmittel auf ein "dominierendes" Verkehrsmittel zweckmäßig. Z. B. ist bei jedem MIV-Weg (motorisierter Individualverkehr) auch ein Fußweg zum Auto und ein Fußweg vom Abstellplatz zum Ziel des Weges beinhaltet. Für alle folgenden Auswertungen wurde das "dominierende" Verkehrsmittel folgendermaßen ermittelt:

    • Für jedes benützte Verkehrsmittel wird eine "Gewichtungsziffer" von 1 bis 5 mit zugehörigem "hauptsächlich" genutztem Verkehrsmittel festgelegt.
    • Jedem Weg wurde das der höchsten vorhandenen Gewichtungsziffer entsprechende Verkehrsmittel zugeordnet.
    • Das jeweils erstgereihte Verkehrsmittel der nachfolgenden Rangordnung wurde als "dominierendes" Verkehrsmittel definiert:
      1. Öffentliches Verkehrsmittel (ÖV)
      2. Pkw, Kfz als Lenker (MIV-L)
      3. Pkw, Kfz als Mitfahrer (MIV-M)
      4. Fahrrad
      5. Zu Fuß

3. Mobilitätsverhalten von Senioren

3.1. Außer-Haus-Anteil

Nicht jeder Mensch verläßt an jedem Tag seine Wohnung bzw. sein Haus. Es zeigt sich, daß der Anteil der Menschen, die am Stichtag der Verkehrsbefragung ihr Haus verlassen haben, mit zunehmendem Alter kontinuierlich sinkt. Die Ursache hierfür liegt einerseits im Rückgang der Erwerbstätigkeit und andererseits an der Zunahme der körperlichen Gebrechen dieser Person. Der Außer-Haus-Anteil ist ein wichtiger Indikator, der die Teilnahme der Person an Mobilitätsaktivitäten beschränkt.

Deutlich zeigt sich auch der höhere Außer-Haus-Anteil der Männer im Vergleich mit den Frauen in allen Altersgruppen (Tab. 3.1-1).

In den weiteren Auswertungen werden die Personen, die am Stichtag der Befragung das Haus verlassen haben, als die "mobilen Personen" bezeichnet, jene, die das Haus nicht verlassen haben, als die "nicht mobilen Personen".

Tab. 3.1-1.: Außer-Haus-Anteil der Altersgruppen am Stichtag der Befragung nach Altersklassen (Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995)

Außer-Haus-Anteil 6 bis 55 bis 65 bis Über 74
in % der Personen 54 Jahre 64 Jahre 74 Jahren Jahre
Männer 86 73 71 49
Frauen 83 62 59 42
Gesamt 84 67 63 44

 Die Hauptgründe gegen das Verlassen des Hauses am Stichtag sind "kein Grund", "Tätigkeiten im Haushalt" und "Krankheit oder Behinderung". Deutlich zeigt sich die Zunahme des Grundes "Krankheit oder Behinderung" ab 75 Jahren. Mehr als 50% der Personen ab 75 Jahren verlassen am Stichtag der Befragung ihr Haus wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht.

Abb. 3.1-1.: Außer-Haus-Anteil und Gründe für Immobilität am Stichtag der Befragung nach Altersklassen
(Basis: Werktäglicher Personennahverkehr der Grazer Wohnbevölkerung 1998)

3.2. Wege pro Tag und Person

Im Mittel werden pro Tag von der steirischen Wohnbevölkerung 2,8 Wege pro Person zurückgelegt. Dieser Wert ist für die einzelnen Altersgruppen sehr unterschiedlich: Die Gruppe der 6- bis 54jährigen legt mit 3,2 Wegen pro Tag wesentlich mehr Wege zurück als der Mittelwert. Mit zunehmendem Alter sinkt tendenziell ab 55 Jahren die Anzahl der Wege pro Tag und Person. Die stark reduzierte Mobilität älterer Menschen ist einerseits auf geringere Mobilitätsbedürfnisse zurückzuführen, andererseits aber dadurch bedingt, daß ältere Menschen unfreiwillig durch körperliche Gebrechen, fehlende Verfügbarkeit über geeignete Verkehrsmittel oder ungeeignete Verkehrsinfrastruktur auf gewünschte Mobilität verzichten müssen. Der im Vergleich etwas höhere Anteil der 65- bis 74jährigen könnte dadurch begründet sein, daß durch den Pensionseintritt mehr Freizeitaktivitäten möglich und von dieser Altersgruppe auch genutzt werden.

Abb. 3.2-1.: Anzahl der Wege pro Tag und Person inklusive nicht mobiler Personen nach Altersklassen
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995)

Ein stark unterschiedliches Bild zeigt sich, wenn man nur die mobilen Personen betrachtet (Abb. 3.2-2). Die Anzahl der Wege pro Tag ist auch bei den mobilen Personen über 55 Jahren geringer als bei jenen unter 55. Sie liegt aber nur ca. 20 bis 30% unter dem Mittelwert.

Der Anteil der älteren Menschen, die am Stichtag ihr Haus verlassen, nimmt mit zunehmendem Alter stark ab. Jene Männer, die am Stichtag das Haus verlassen ("Mobile"), erledigen auch weniger Wege als die jüngeren Personen unter 55 Jahren. Deutlich zeigt sich eine höhere Weganzahl bei den mobilen Frauen im Vergleich zu den Männern.

Abb. 3.2-2.: Anzahl der Wege pro Tag und mobiler Person, unterschieden nach Geschlecht und Altersklasse

 

3.3. Tageswegdauer aller Wege einer Person pro Tag

Die Tageswegdauer – die bei allen Wegen eines Tages von einer mobilen Person im Verkehr verbrachte Zeit – bleibt für alle Altersgruppen relativ konstant und liegt etwa bei 80 Minuten. Deutlich zeigt sich fast über alle Altersklassen hinweg das Rollenverhalten, daß Frauen etwa 10% weniger Zeit im Verkehr unterwegs sind.

Abb. 3.3-1.: Mittlere Tageswegdauer nach Altersklassen und Geschlecht in Minuten
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995 ohne nicht mobile Personen)

3.4. Tageswegentfernung und möglicher Aktionsradius

Die mittlere Tageswegentfernung, die bei allen Wegen einer mobilen Person zurückgelegt wird, nimmt mit zunehmendem Alter über 64 stark ab. Diese unterschiedliche Wegentfernung spiegelt sich auch in der Verkehrsmittelwahl und den unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Verkehrsmittel wider. In den Altersklassen unter 65 Jahren ist der MIV (motorisiertes Verkehrsmittel) das dominierende Verkehrsmittel, dadurch steigt die zurückgelegte Wegentfernung. In den Altersklassen über 65 nimmt der Weganteil des MIV stark ab, und der Fußgängerverkehr ist das häufigste Verkehrsmittel.

Männer legen in allen Altersklassen wesentlich größere Wegentfernungen zurück als Frauen. Das ist eine Folge der unterschiedlichen KFZ-Verfügbarkeit bei Männern und Frauen sowie des traditionellen Rollenverhaltens.

Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer funktionierenden Nahversorgung für ältere Menschen: Der Aktionsradius schränkt sich mit zunehmendem Alter stark ein. Ältere Menschen sind vorwiegend auf nichtmotorisierte Verkehrsmittel angewiesen bzw. nutzen diese.

Abb. 3.4-1.: Mittlere Tageswegentfernung nach Altersklassen und Geschlecht in km
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995 ohne nicht mobile Personen)

Abb. 3.4-2.: Abschätzung des möglichen maximalen Aktionsradius (R) und der erreichbaren Fläche (A) nach Altersklassen

Aufgrund der geringeren Tagesentfernungen der Seniorinnen und Senioren ist auch der "Aktionsradius" und damit die erreichbare Fläche geringer als bei jüngeren Menschen. In Abb. 3.4-2 ist die erreichbare Fläche unter der Annahme dargestellt, daß die gesamte Tagesweglänge in zwei möglichst lange Wege aufgeteilt wird.

Nach dieser Berechnung erreicht ein Steirer im Mittel ca. 1000 km² Fläche. Die Ergebnisse zeigen, daß die erreichbare Fläche mit zunehmendem Alter ab 65 Jahren stark abnimmt. Personen zwischen 65 und 75 erreichen mit ihren durchschnittlichen Tageswegentfernungen nur mehr ca. 31% der Fläche des durchschnittlichen Steirers, Personen über 84 nur mehr 7%. Ältere Menschen haben also in einer Zeit der zunehmenden Zentralisierung der Versorgungseinrichtungen (z.B. Einkaufsmärkte am Stadtrand) und einer Reduktion der Nahversorgung Probleme in der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfes.

3.5. Verkehrszweckmatrix

Die Verkehrszweckmatrix drückt aus, welche Wegemuster bezüglich der Verkehrszwecke durchgeführt werden. Der Verkehrszweck wird durch den Weg zwischen zwei Daseinsgrundfunktionen definiert und drückt aus, an welchen Aktivitäten die mobilen Personen teilnehmen. Die Daseinsgrundfunktionen und ihre Verflechtungen sind in den Abb. 3.5-1 bis 3.5-2 für verschiedene Altersklassen dargestellt. Die Ergebnisse zeigen folgendes Bild:

  • Die Bedeutung der einzelnen Daseinsgrundfunktionen ändert sich mit unterschiedlichem Alter stark. Ist neben dem "Wohnen" bei den Personen unter 55 Jahren das erwerbsmäßige Arbeiten der wichtigste Grund, das Haus zu verlassen, verliert das erwerbsmäßige Arbeiten (außer Haus) bei Personen über 65 fast völlig an Bedeutung.
  • Zunehmende Bedeutung erhalten in den Altersgruppen über 55 die private Erledigung (Einkauf, Arztbesuch usw.) und die Freizeitaktivitäten. Über 65 sind die private Erledigung und die Freizeit die beinahe einzigen Aktivitäten. Es zeigt sich also, daß ältere Menschen komplett andere Verkehrsverhaltensmuster haben.

Abb. 3.5-1.: Werktagsmobilität zwischen den fünf Daseinsgrundfunktionen der Altersklassen zwischen 6 und 54 Jahren, mobile Personen
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995 zwischen 6 und 54 Jahren)

Abb. 3.5-2.: Werktagsmobilität zwischen den fünf Daseinsgrundfunktionen der Altersklasse zwischen 65 und 74 Jahren, mobile Personen
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995 zwischen 65 und 74 Jahren)

3.6. Verkehrsmittelaufteilung

Die Befragungsergebnisse zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Verkehrsmittelwahl und dem Alter:

  • Der Anteil des Fußgängerverkehrs steigt ab 55 Jahren mit zunehmendem Alter. Personen unter 54 Jahren legen nur jeden fünften Weg zu Fuß zurück, Personen über 75 mehr als jeden zweiten Weg. Der Fußgängerverkehr ist bei den älteren Personen ab 65 das dominierende Verkehrsmittel.
  • Auffallend ist, daß das Fahrrad auch in hohen Altersgruppen häufig genutzt wird.
  • Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) als Lenker ist in den Altersklassen bis 65 Jahre dominant. Ab 65 nimmt der Anteil des MIV als Lenker stark ab. Der Weganteil des MIV als Lenker beträgt bei den über 75jährigen weniger als 10%. Es ist allerdings zu erwarten, daß in Zukunft dieser Anteil wächst, da in Zukunft mehr Senioren über ein Auto verfügen werden als heute.
  • Der Anteil des MIV als Mitfahrer zeigt keine eindeutige Tendenz und schwankt zwischen 8 und 17%.
  • Der Weganteil des öffentlichen Verkehrs steigt ab 55 mit zunehmendem Alter. Die Bevölkerungsgruppe der 6 bis 54jährigen hat hier einen höheren Anteil als die der 55 bis 65jährigen, weil in dieser Altersgruppe auch die unter 18jährigen enthalten sind. Dieser Anteil wird in Zukunft zurückgehen, da die Autoverfügbarkeit der Senioren steigt.

Abb. 3.6-1.: Verkehrsmittelaufteilung nach Hauptverkehrsmittel, Geschlecht und Altersklassen
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995)

Die Ergebnisse zeigen, daß der MIV mit zunehmendem Alter als Verkehrsmittel stark an Bedeutung verliert und das "Zu-Fuß-Gehen" ab einem Alter von 65 das wichtigste Verkehrsmittel ist. Das unterstreicht die Bedeutung einer fußgänger- und seniorenfreundlichen Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur.

Deutlich zeigt sich der höhere MIV-Anteil der Männer, insbesondere in den höheren Altersklassen ab 55 Jahren. Bei den Frauen ist dagegen im Vergleich zu den Männern der Anteil des "Zu Fuß-Gehens" und als MIV- Mitfahrer deutlich höher. In Zukunft ist zu erwarten, daß insbesondere der MIV-Lenker-Anteil der Frauen ab 55 Jahren stark steigen wird.

3.7. Verkehrszweck und Verkehrsmittelaufteilung

Der Weganteil des Erledigungsverkehrs und des Freizeitverkehrs steigt ab 55 mit zunehmendem Alter stark an. Der Hauptzweck bei Wegen der über 65jährigen ist der Erledigungsverkehr (Einkaufen, private Erledigungen, Arztbesuch usw.) mit über 60% der Wege. Das unterstreicht die Bedeutung einer funktionierenden Nahversorgung und einer guten, fußläufigen Erreichbarkeit von Gesundheitseinrichtungen.

Mit zunehmendem Alter steigt auch der Anteil des Fußgängerverkehrs beim Erledigungsverkehr von 26 auf 65% an, beim Freizeitverkehr von 25 auf 52%. Der Radverkehr sinkt von 7 bzw. 8% auf 4 bzw. 5% und erhält bis ins hohe Alter eine relativ große Bedeutung. Der MIV-Lenker-Anteil geht beim Erledigungsverkehr von 47% auf 6% zurück, beim Freizeitverkehr von 41% auf 12%. Diese starke Abnahme mit zunehmendem Alter wird sich in Zukunft verändern, da Senioren vermehrt über ein Auto verfügen werden. Der MIV-Mitfahreranteil bleibt beim Erledigungsverkehr und Freizeitverkehr über das Alter relativ stabil. Allerdings ist sein Anteil beim Freizeitverkehr etwa doppelt so hoch. Der ÖV-Anteil ist im höheren Alter (ab 65) etwa doppelt so hoch wie bei den jüngeren Altersklassen.

Abb. 3.7-1.: Verkehrsmittelaufteilung nach Verkehrszweck für die Altersklasse zwischen 6 und 54 Jahren, mobile Personen
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995 zwischen 6 und 54 Jahren)

Abb. 3.7-2.: Verkehrsmittelaufteilung nach Verkehrszweck für die Altersklasse zwischen 65 und 74 Jahren, mobile Personen
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995 zwischen 65 und 74 Jahren)

3.8. Mittlere Wegentfernung, Wegdauer und Geschwindigkeit

Die mittlere Wegentfernung sinkt ab 55 Jahren mit zunehmendem Alter (Abb. 3.8-1). Dies ist auf die Verkehrsmittelverschiebung hin zum Fußgängerverkehr zurückzuführen. Beim Fußgängerverkehr selbst ist mit mittleren Weglängen von 0,9 km bis 1,2 km eine große Stabilität festzustellen. Bei Unterscheidung nach den einzelnen Verkehrsmitteln zeigt sich vor allem beim Fahrrad eine abnehmende Tendenz der mittleren Wegdauer mit zunehmendem Alter.

Abb. 3.8-1.: Mittlere Wegentfernung in km nach Hauptverkehrsmittel und Altersklassen
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995)

Abb. 3.8-2.: Mittlere Wegdauer nach Hauptverkehrsmittel in Minuten
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995)

Abb. 3.8-3.: Mittlere Geschwindigkeit nach Hauptverkehrsmittel in km/h
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995)

Fußwege von Personen über 55 bleiben von ihrer mittleren Entfernung her relativ konstant. Die Geschwindigkeit liegt deutlich unter jener der 6 bis 55jährigen. Das ist eine Folge der geringeren Berufstätigkeit (mehr Zeit), der Verkehrszwecke (Erledigung und Freizeit dominieren) sowie von gesundheitlichen Einschränkungen.

Auch bei den einzelnen Verkehrsmitteln zeigt sich eine abnehmende Tendenz der Wegentfernung mit zunehmendem Alter der Benutzer.

3.9. Tagesganglinien des Verkehrsaufkommens

Die Tagesganglinie beschreibt die tageszeitliche Verteilung des Verkehrsaufkommens. In der Tagesganglinie der 6-54jährigen spiegeln sich die Zwecke Ausbildung und Berufspendler deutlich wider: Die Morgenspitze zwischen 7.00 und 8.00 Uhr ist mit 13% des Tagesverkehrs sehr stark ausgeprägt, die Nachmittagsspitze verteilt sich über die Zeit zwischen 12.00 und 18.00 Uhr.

Mit zunehmendem Alter wird vor allem die Morgenspitze deutlicher. Ältere Personen erledigen ihre Wege häufiger am Vormittag. Insgesamt werden die Verkehrsaktivitäten später am Tag begonnen und hören früher auf.

Abb. 3.9-1.: Tagesganglinie der Wege der Altersklasse von 6 bis 54 Jahren
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995)

Abb. 3.9-2.: Tagesganglinie der Wege der Altersklasse von 65 bis 74 Jahren
(Basis: werktäglicher Personennormalverkehr der steirischen Wohnbevölkerung 1995)

3.10. Fahrzeug- und Führerscheinbesitz

  • Führerscheinbesitz

    Der Besitz eines Führerscheines als Voraussetzung für die Benutzung des MIV als Lenker ist eine wesentliche Beschreibungsgröße für das potentielle Mobilitätsverhalten. Der Führerscheinbesitz ist stark abhängig vom Alter und Geschlecht:

    • Der Sättigungsgrad des Führerscheinbesitzes bei Männern unter 65 mit 86% ist beinahe erreicht. Ab 65 sinkt bei Männern der Führerscheinbesitz. In Zukunft wird er aber tendenziell höher liegen, weil bei diesen Altersgruppen viele Männer im Jugendalter keinen Führerschein gemacht haben.
    • Frauen ab 55 Jahren besitzen wesentlich seltener einen Führerschein als Männer. Hier zeigt sich das traditionelle Rollenverhalten.

    Abb. 3.10-1.: Führerscheinbesitz nach Altersklasse und Geschlecht (steirische Wohnbevölkerung 1995)

    • Frauen unter 55 besitzen mit 61% (gegenüber 69% der Männer) beinahe so oft einen Führerschein wie Männer.
    • Der relative Abstand zwischen Männern und Frauen steigt mit zunehmendem Alter.
    • In Zukunft ist zu erwarten, daß Personen in lenkfähigem Alter über 18 Jahre einen Führerscheinbesitzanteil gegen 95% aufweisen.
    • In Zukunft wird sich auch in der älteren Bevölkerungsklasse der Unterschied zwischen Männern und Frauen stark vermindern. Sowohl Frauen als auch Männer werden auch im Alter ihre Führerscheine behalten. Das bewirkt besonders bei den Frauen eine potentielle Zunahme des MIV. Positiv ist die Möglichkeit, mit den MIV den Aktionsradius zu vergrößern, negativ die Zunahme des MIV.
  • PKW-Verfügbarkeit

        Der Anteil von Personen, die in einem Haushalt ohne PKW wohnen, steigt ab 55 Jahren mit zunehmendem Alter. Während nur 9% der Personen unter 55 Jahren im Haushalt über keinen PKW oder Kombi verfügen, beträgt dieser Anteil bei den 65-74jährigen bereits 41% und bei den über 75jährigen 55%. Diese Personen sind auf nichtmotorisierte und öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. In Zukunft wird der Anteil der Haushalte mit PKW auch in den höheren Altersklassen steigen. Derzeitige junge Führerschein- und PKW-Besitzer werden ihren PKW auch im Alter behalten und benutzen.

4. Meinung der Senioren zur Verkehrsinfrastruktur

Diese Befragung wurde im Rahmen eines mündlichen Vertiefungsinterviews im Haushalt erstellt und wurde nach Stadt und Land getrennt ausgewertet. 

4.1. Qualitätsprofil der Verkehrsmittel

Das Qualitätsprofil der Verkehrsmittel wurde aufgrund unterschiedlicher Fragen zu den Verkehrsmitteln erstellt.

Abb. 4.1-1.: Qualitätsprofil der Verkehrsmittel

Es zeigt sich eine Beurteilung zwischen "Gut" und "Befriedigend". Deutlich schlechter werden von Städtern das Verkehrsmittel "PKW – Lenker" und von männlichen Städtern Bus und Straßenbahn beurteilt. Am Land wird das Verkehrsmittel "PKW als Lenker" am besten beurteilt, in der Stadt das "zu Fuß-Gehen", das "Fahrrad" und der "öffentliche Verkehr".

Deutlich zeigt sich auch die Tendenz, daß Männer auf dem Lande alle Alternativen zum Auto deutlich schlechter als das Auto beurteilen. 

4.2. Probleme mit Verkehrsmitteln

Grundsätzlich zeigt sich eine relativ große Zufriedenheit beim nichtmotorisierten Verkehr, während für den MIV und ÖV deutlich mehr Probleme existieren.

Abb. 4.2-1.: Probleme im Fußgängerverkehr (87 Nennungen)

Abb. 4.2-2.: Probleme im Radverkehr (41 Nennungen)

Abb. 4.2-3.: Probleme im öffentlichen Verkehr (87 Nennungen)

Abb. 4.2-4.: Probleme im motorisierten Individualverkehr – MIV (78 Nennungen)

Dies ist ein bekanntes Phänomen, daß viele Personen bestehende Zustände des nichtmotorisierten Verkehrs einfach akzeptieren, weil der nichtmotorisierte Verkehr gegenüber dem Auto als "nicht so wichtig" und als "nicht veränderbar" eingestuft wird, obwohl gerade Senioren auf dieses Verkehrsmittel größtenteils angewiesen sind. Im öffentlichen Verkehr werden vor allem die zu hohen Einstiege und fehlende Sitzplätze beklagt. Für den MIV gehen vor allem Parkplätze ab.

4.3. Verbesserungsvorschläge für Verkehrsmittel

Neben den Problemen wurden auch Verbesserungsvorschläge für die einzelnen Verkehrsmittel abgefragt. Es wurden nur jene Personen befragt, die das jeweilige Verkehrsmittel benutzen.

  • Fußgängerverkehr

     Die wichtigsten Verbesserungsvorschläge der älteren Menschen für den Fußgängerverkehr betreffen Übergangshilfen über Straßen (Zebrastreifen, Verkehrslichtsignalanlagen bei Zebrastreifen) mit insgesamt 19% der Nennungen und eine Verbesserung der Gehsteige (mehr Gehsteige, Gehsteige sehr schmal, Gehwege von der Straße trennen) mit 18%. Häufig genannt werden auch "mehr Rücksicht durch die Autofahrer", die "Verbannung der Fahrräder und Skater von den Gehwegen", die Freihaltung der Gehsteige von Mistkübeln usw. und bessere Schneeräumung im Winter.

  • Abb. 4.3-1.: Verbesserungsvorschläge Fußgängerverkehr (74 Nennungen)

  • Fahrradverkehr

    Von den befragten Seniorinnen und Senioren werden als Verbesserungsvorschläge für den Fahrradverkehr vorwiegend der Ausbau der Radwege gefordert (60% der Nennungen). Das unterstreicht das Sicherheitsbedürfnis der älteren Radfahrer.

  • Abb. 4.3-2.: Verbesserungsvorschläge Radverkehr (30 Nennungen)

  • Öffentlicher Verkehr

    Zur Verbesserung des öffentlichen Verkehrs schlagen die Befragten die Verkürzung der Intervalle, die genaue Einhaltung des Fahrplanes und die Verbesserung des Einstiegs (möglichst keine Stufe) vor. Häufig genannt wurde auch eine Preissenkung, die Führung von eigenen Einschubbussen für Schüler sowie ein sanfteres Beschleunigen und mehr Sitzplätze für ältere Menschen. Neben Verbesserungsvorschlägen, die in anderen Befragungen auch von jüngeren Altersgruppen genannt wurden, sind die Verringerung der Einstiegshöhe, eine sanftere Beschleunigung der Fahrzeuge und mehr Sitzplätze Vorschläge, die besonders von den befragten Senioren und Seniorinnen genannt wurden.

  • Abb. 4.3-3.: Verbesserungsvorschläge ÖV (52 Nennungen)

  • Motorisierter Individualverkehr (MIV)

    Als Verbesserungsvorschläge werden vorwiegend eine geringere Nutzung des MIV ("Leute sollen auf ÖV umsteigen") und die Errichtung von mehr Parkplätzen genannt. Auch die bessere Überwachung des Autoverkehrs und bessere sowie breitere Straßen werden gefordert.

  • Abb. 4.3-4.: Verbesserungsvorschläge MIV (67 Nennungen)

4.4. Beurteilung der einzelnen Verkehrsmittel

Nach der "offenen" Frage nach Problemen und Verbesserungsvorschlägen wurde auch die Beurteilung der Verkehrsmittel mit vorgegebenen Fragen nach Schulnoten ermittelt.

  • Die Fußgängerfreundlichkeit der Straßen wird von den Befragten zwischen "gut" und "befriedigend" eingestuft.
  • Frauen stufen im Gegensatz zu Männern das Angebot für Fußgänger am Land besser als in der Stadt ein.
  • Die Qualität des Fahrradverkehrs im Heimatort wird von den Befragten mit "befriedigend" beurteilt. Männer, die am Land wohnen, schätzen die Bequemlichkeit und Benutzbarkeit des Fahrrades wesentlich schlechter ein als Männer, die in der Stadt wohnen, sowie Frauen.

Die Qualität des öffentlichen Verkehrs wird sehr unterschiedlich beurteilt:

Die Qualität des Autoverkehrs wird sehr unterschiedlich bewertet:

  • Die Qualität der Straßen und des Parkplatzangebotes wird von älteren PKW- Lenkern in der Stadt wesentlich schlechter beurteilt als am Land.
  • In der Stadt wird die Qualität für den Autoverkehr zwischen "befriedigend" und "genügend" eingestuft, am Land deutlich besser. Zwischen Männern und Frauen gibt es keinen großen Unterschied.

Abb. 4.4-3.: Beurteilung des Autoverkehrs

Die Rücksichtnahme von Autofahrern und Radfahrern auf Senioren als Fußgänger wird im Mittel mit "befriedigend" eingestuft. Stadtbewohner beurteilen die Rücksichtnahme schlechter als Landbewohner, Radfahrer werden etwas weniger rücksichtsvoll als Autofahrer beurteilt.

Abb. 4.4-4.: Beurteilung der Rücksichtnahme von Autofahrern und Radfahrern

 

5. Anforderung an eine seniorengerechteVerkehrsinfrastruktur

5.1. Übergeordnete Zielsetzungen für ein seniorengerechtes Mobilitätsangebot

Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen sicherstellen!

Alle relevanten Ziele sollen für alle Menschen, auch für Seniorinnen und Senioren, möglichst gut erreichbar sein. Ältere Menschen haben durch ihre geringe PKW-Verfügbarkeit und die geringere Weglänge ein Defizit in Hinblick auf die Erreichbarkeit von autoorientierten Strukturen wie z.B. Einkaufszentren am Stadtrand und die Erreichbarkeit von weiter entfernten Gebieten.

Ältere Personengruppen sollen ihre Mobilität bis ins hohe Alter aufrecht erhalten können. Die Allgemeinheit hat die Verantwortung dafür, die Mobilität neben allen anderen Bevölkerungsgruppen auch für die ältere Generation zu ermöglichen.

Mobilität erleichtert sozialen und kulturellen Austausch, vermeidet Einsamkeit und fördert indirekt auch die geistige Mobilität.

Räumliche Strukturen schaffen und erhalten, die die Erfüllung des Mobilitätsbedürfnisses von Seniorinnen und Senioren erleichtern.

Eine grundlegende Einflußgröße des Mobilitätsangebotes und der Nachfrage ist die vorhandene Raumnutzung. Der Raumordnung kommt daher eine große Bedeutung für die zukünftige Verkehrsentwicklung und die Verkehrsnachfrage zu. Im Sinne des geringeren "Aktionsradius" der älteren Menschen hat die Sicherstellung einer dezentralen Versorgung mit Einkaufs-, Gesundheits- und Freizeiteinrichtungen besonders großen Stellenwert. Im Hinblick auf die Zukunft soll Wohnnutzung (insbesondere auf Senioren spezialisiertes Wohnen wie Seniorenheime etc.) nur in zentralen Lagen mit gutem Angebot an Versorgungs-, Dienstleistungs- und Freizeiteinrichtungen sowie gutem Anschluß an öffentliche Verkehrsmittel genehmigt werden.

5.2. Empfehlungen für eine seniorengerechte Verkehrsinfrastruktur

Von den übergeordneten Zielsetzungen wurden auf Grund der Analyse des Verkehrsverhaltens und der vertieften Befragung, aber auch aus der langjährigen Erfahrung detaillierte Empfehlungen für eine seniorengerechte Infrastruktur abgeleitet. 

5.2.1. Allgemeine Maßnahmen

  • Raumplanung

    Ältere Menschen haben im Vergleich zu jüngeren einen geringeren Aktionsradius. Dezentrale Versorgungs-, Freizeit- und Dienstleistungseinrichtungen in der Nähe von Wohngebieten sind langfristig zu sichern. Die Erreichbarkeit dieser Einrichtungen ist für alle Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, nicht nur für PKW-Nutzer.

  • Homogener Verkehrsfluß

    Ein sehr schnelles Verkehrssystem mit inhomogenem Verkehrsfluß verursacht Streß und eine Überforderung der Verkehrsteilnehmer. Da mit zunehmendem Alter die Beweglichkeit tendenziell abnimmt, trifft das besonders für ältere Personen zu. Ein Verkehrssystem mit möglichst gleichmäßigem Verkehrsfluß und geringen Geschwindigkeitsunterschieden der Fahrzeuge verringert die Konflikte zwischen Verkehrsteilnehmern. Anzustreben ist die generelle Einführung von Tempo 100 auf Autobahnen und Schnellstraßen, Tempo 80 auf anderen Freilandstraßen und Tempo 30/50 nach dem Grazer Modell im Ortsgebiet. Dadurch werden besonders die Geschwindigkeitsspitzen deutlich verringert. Es wird ein gleichmäßigerer, besser vorhersehbarer Verkehrsfluß ermöglicht.

  • Verständliches Verkehrssystem, Information

    Ältere Menschen brauchen mehr Zeit, um sich auf neue Situationen einzustellen. Deshalb ist ein einfaches, leicht verständliches Verkehrssystem anzustreben. Besondere Bedeutung haben lesbare und verständliche Information, lesbare Fahrpläne, ein einfach verständliches ÖV-Liniennetz und Tarifsystem sowie ein Wegweisungssystem, Parkleit- und Informationssysteme für den Individualverkehr. Bei allen Informationen ist zu berücksichtigen, daß ältere Menschen tendenziell schlechter sehen als junge. Information nimmt die Angst vor und Unsicherheit bei der Benutzung. Jede Gemeinde sollte einen "Mobilitätsfalter" auflegen, der auf die Bedürfnisse der Senioren abgestimmt ist. Alle relevanten Mobilitätsinformationen sollten darin leicht lesbar zusammengefaßt sein.

  • Mobilitätsberatung

    Individuelle Mobilitätsberatung älterer Menschen trägt zur Sicherung der Mobilität und zur Erweiterung des Aktionsradius bei. Anzustreben sind z.B. individuelle Mobilitätsberatungen über Seniorenvertretungen, in Altersheimen und bei seniorenspezifischen Veranstaltungen. Durch die Mobilitätsberatung sollen die Verkehrsteilnahme mit den unterschiedlichen Verkehrsmitteln gefördert und Barrieren für die Benutzung einzelner Verkehrsmittel verringert werden.
        Die bestehende Mobilitätszentrale in Graz soll auch für ältere Menschen als Beratungsstelle eingerichtet und genutzt werden.

  • Verbesserung der Verkehrssicherheit

    Verkehrssicherheit spielt für ältere Menschen eine große Rolle. Kleinere Unfälle können bei ihnen bereits gravierende gesundheitliche Folgen habe. Der Verkehrssicherheit ist daher größere Bedeutung vor der Geschwindigkeit des Verkehrssystems zu geben (z.B. durch Tempo 30/50/80/100, sichere Geh- und Radrouten, sichere Überquerungshilfen, stärkere Berücksichtigung von langsamen Verkehrsteilnehmern bei Ampelanlagen usw.).

  • Planungsgrundsatz "Evolution statt Revolution"

    Ältere Menschen stellen sich schwieriger auf neue Situationen ein. Deshalb ist nach Möglichkeit das bestehende Verkehrssystem schrittweise zu verbessern, statt es kurzfristig völlig umzustellen (Evolution statt Revolution).

  • Mobile Versorgungsdienste

    Mobile Versorgungsdienste können das fehlende bzw. abnehmende Angebot an stationären Versorgungseinrichtungen (z.B. Nahversorgung) teilweise kompensieren. Sie fördern aber die Unselbständigkeit und können tendenziell zu Vereinsamung führen. Soziale Kontakte werden verringert. Deshalb sollen mobile Versorgungsdienste (Essensdienst, Kaufmann, Friseur etc.) nur der letzte Ausweg sein, wenn keine andere Möglichkeit besteht.

5.2.2. Maßnahmen für den Fußgängerverkehr

Zu Fuß gehende ältere Menschen müssen als die neben Kindern schwächsten Verkehrsteilnehmer besonders geschützt werden. Vor allem die Seniorinnen und Senioren sind auf das "Zu-Fuß-Gehen" angewiesen. Das "Zu-Fuß-Gehen" soll aber auch für alle Bevölkerungsgruppen zu einer attraktiven Alternative zu anderen Verkehrsmitteln werden. Die angeführten Maßnahmen unterstützen nicht nur die älteren Menschen in ihrem Mobilitätsbedürfnis, sondern stellen auch für alle anderen Bevölkerungsgruppen eine Verbesserung dar.

  • Bereitstellung eines möglichst flächendeckenden Fußwegenetzes

        Ein flächendeckendes Fußwegenetz ist eine Voraussetzung für ein sicheres und komfortables "zu-Fuß-Gehen". Deshalb ist in allen Gemeinden ein flächendeckendes Fußwegenetz anzubieten. Das Fußwegenetz besteht aus folgenden Elementen:

    • Fußgängerzonen (ausgenommen Ladeverkehr bzw. abhängig von den Verhältnissen – Radfahrer)
    • Verkehrsbeschränkte Straßen (Fahrverbot, ausgenommen Zulieferverkehr und Taxi ganztägig)
    • Attraktive, breite Gehwege entlang von Straßen bzw. durch einen Grünstreifen oder eine Baumreihe von der Straße getrennt
    • Querungshilfen über Straßen (Schutzwege, Lichtsignalanlagen, Mittelinseln, im Kreuzungsbereich vorgezogene Gehsteigbereiche, damit der querende Fußgänger von Autofahrern rechtzeitig gesehen wird bzw. herannahende Autos sieht usw.)
    • Wohnstraßen
    • Fußwege in Parkanlagen, Promenaden
    • Wanderwege im Naherholungsgebiet
  • Sichere und komfortable Gehwege

        Für sichere und komfortable Gehwege gelten folgende Anforderungen:

    • Gehwege und Gehsteige sollen mindestens 1,5 m breit sein, im Regelfall 2,0 m. An allen Kreuzungen und Übergängen soll der Gehsteig auf 3 cm Höhenunterschied zur Fahrbahn abgesenkt werden. An Grundstückszufahrten und z.B. Tankstellen ist der Gehsteig nicht ganz abzusenken, der Bordstein ist in etwas abgesenkter Form durchzuziehen, im Bordsteinbereich sind flache Rampen anzulegen. Das Quergefälle von Gehwegen soll maximal 2% betragen.
    • Höhenunterschiede in öffentlichen Verkehrsanlagen sind grundsätzlich mit gehbehindertengerechten Rampen auszustatten. Die maximale Längsneigung der Rampen beträgt 6%.
    • Sind Stufen oder Stiegen im Außenbereich erforderlich, soll die Stufenhöhe maximal 12 cm und die Stufenbreite mindestens 32 cm betragen. Dadurch wird der Komfort wesentlich erhöht. Die Stufenkante der ersten und letzten Stufe muß deutlich erkennbar farblich gekennzeichnet werden. Dadurch sind die Stufen besonders für Personen mit eingeschränktem Sehvermögen besser erkennbar.
    • An Rampen, Stufen und Stiegen sind Handläufe anzubringen. Ebenfalls sind an Rampen und Stiegen nach jeweils 1,5 m Höhenunterschied Ruhepodeste zum Ausruhen anzuordnen.
    • Entlang von Gehwegen sollen im Abstand von ca. 100 m Sitzmöglichkeiten eingerichtet werden.
    • Gehwege müssen gleitsichere Bodenbeläge aufweisen.
    • Im Gehbereich dürfen keine Hindernisse aufgestellt werden (z.B. Plakate, Verkaufskörbe usw.); der Gehbereich soll deutlich erkennbar von Hindernissen getrennt angeordnet sein.
  • Überquerungshilfen "Zebrastreifen" und Druckknopfampeln

    Zur Sicherung des Fußgängerverkehrs sind auch vermehrt Überquerungshilfen in Form von Zebrastreifen und Druckknopfampeln angeordnet worden – die Druckknöpfe sind gut sichtbar in Reichweite der Fußgänger und Rollstuhlfahrer anzubringen.

  • Stärkere Berücksichtigung der Fußgänger bei Verkehrslichtsignalanlagen

    Bei Verkehrslichtsignalanlagen (Ampelanlagen) soll die maximale Räumgeschwindigkeit von Fußgängern mit 1,0 m/sek statt wie derzeit mit 1,2 m/sek berücksichtigt werden. Fußgänger sollen den gesamten Weg über die Fahrbahn bei "Grün" überqueren können (derzeit schaltet die Ampel häufig bereits dann auf "Rot", wenn der Fußgänger noch auf der Fahrbahn geht – dadurch werden besonders ältere Fußgänger, aber auch Kinder verunsichert).
    Zweckmäßig ist auch die Einrichtung einer Anmeldung für Personen, die längere Grünphasen benötigen, über einen Druckknopf. Diese Lösung hat den Vorteil, daß die Leistungsfähigkeit für andere Verkehrsmittel nur dann eingeschränkt wird, wenn längere Räumzeiten gebraucht werden.

  • Beleuchtung von Fußwegen und Straßen

    Die ausreichende Beleuchtung von Straßen, Plätzen, Gehwegen und Überquerungshilfen ist eine Voraussetzung für ein sicheres Angebot für den Fußgängerverkehr.

  • Möglichst direkte Fußgängerverbindungen ohne Umwege

    Umwege stellen insbesondere für gehbehinderte Personen ein großes Problem dar und müssen möglichst vermieden werden.

  • Keine uneingeschränkte Erlaubnis von Rollerskaten auf Gehwegen

    Rollerskater sollen Gehwege nur in Ausnahmefällen benutzen dürfen – die generelle Benutzungsmöglichkeit stellt eine Gefährdung der Fußgänger, insbesondere der Senioren dar.

5.2.3. Maßnahmen für den Fahrradverkehr

Das Fahrrad wird bis ins hohe Alter als Verkehrsmittel benutzt und bietet seinen Benutzern durch seine im Vergleich zum Gehen höhere Geschwindigkeit einen größeren Aktionsradius. Das ist im Zeitalter der zunehmenden Zentralisierung der Versorgungseinrichtungen eine Möglichkeit für die Senioren, die zunehmenden Wegentfernungen zu bewältigen. Für eine Förderung des Fahrradverkehrs sind folgende Maßnahmen erforderlich:

  • Bereitstellung eines möglichst flächendeckenden Radroutennetzes

    Eine Voraussetzung für eine Förderung der Fahrradbenutzung ist ein attraktives und sicheres Radroutennetz mit entsprechender Beschilderung und Information. Besonders ältere Menschen fühlen sich auf Radwegen sicherer als auf der Fahrbahn (gemeinsam mit dem KFZ-Verkehr).

  • Sichere und komfortable Radrouten, ebene Wege

    Die Radrouten sind entsprechend der RVS 3.562 auszubilden. Insbesondere ist auf ausreichende Breiten und geringe Steigungen zu achten.

  • Mobilitätsberatung, z.B. durch Radfahrkurse für ältere Menschen, individuelle Beratung an Konfliktstellen usw.

    Die Information über die einzelnen Verkehrsmittel, Routen und das Verhalten an Problempunkten ist eine Voraussetzung für die sichere und angstfreie Benutzung der Verkehrsmittel. Die individuelle Beratung soll insbesondere für ältere Fußgänger und Radfahrer durchgeführt und über die Mobilitätszentrale vermittelt werden.

  • Stärkere Berücksichtigung der Sicherheit der Fußgänger bei der Planung von Radrouten

    Die Sicherheits- und Komfortbedürfnisse der Fußgänger, insbesonderer älterer Personen, müssen stärker berücksichtigt werden. Ein wesentliches Problem ist die Mischung von Geh- und Radwegen mit zu geringen Breiten. Die Mindestbreiten laut RVS sollen eingehalten werden. Von den Verkehrsteilnehmern muß aber auch Rücksicht und gegenseitiges Vertrauen gefordert werden.

  • Neue Fahrradtechnik
    • Derzeit handelsübliche Fahrräder haben folgende Probleme für die Benutzbarkeit, nicht nur für ältere Menschen:
    • Der teilweise sehr hohe Durchstieg macht das Auf- und Absteigen für weniger gelenkige Personen schwierig, teilweise unmöglich.
    • Ungeübte Radfahrerinnen bzw. Radfahrer mit Gleichgewichtsproblemen sind durch die "Einspurigkeit" des Fahrrades stark beeinträchtigt. Besonders bei langsamer Fahrweise sind Fahrräder sehr instabil.
    • Komplizierte Technik schreckt "Uneingeweihte" vor der Benutzung ab.
    • Beim Anfahren und Bergauffahren werden Gelenke stark beansprucht. Insbesondere bei älteren Menschen ist die Beweglichkeit der Beine eingeschränkt. Auch lange Kurbeln stellen ein Problem dar (starkes Abwinkeln der Beine).

    Aus diesen Problemen leiten sich folgende Forderungen für die Fahrradentwicklung und das kommerzielle Fahrradangebot ab:

    • Entwickeln und Anbieten von ausreichend stabilen Fahrrädern mit sehr niedrigem Durchstieg.
    • Entwickeln und Anbieten von Fahrrädern, die bereits bei geringen Fahrgeschwindigkeiten ausreichend stabil sind. Eine Möglichkeit ist das Anbieten von Dreirädern.
    • Minimieren der erforderlichen Kraft beim Anfahren und Bergauffahren sowie Verhindern von ungünstigen Abbiegewinkeln der Beine. Das kann durch Änderung der Schaltung sowie Kurbelgeometrie bzw. durch Hilfsmotoren erreicht werden.

Das Fahrrad soll vor allem für ältere Menschen mit Gesundheitsproblemen (eingeschränkte Beweglichkeit, geringere körperliche Leistungsfähigkeit) zu einem brauchbaren Verkehrsmittel werden. Die Fahrradtechnik kann dazu einen großen Beitrag leisten, hat aber derzeit einen großen Nachholbedarf.

5.2.4. Maßnahmen für den öffentlichen Verkehr

  • Bestmögliches einfach benutzbares Angebot im öffentlichen Verkehr
    (Linien, Takt, Tarif)

    Ein optimales ÖV-Angebot nutzt allen Benutzern, auch den älteren Menschen. Ein öffentliches Verkehrssystem besteht aus einem einfachen, möglichst leicht ohne Erklärung verständlichen Linien-, Takt- und Tarifangebot. Die Einfachheit der Bedienung ist für ältere Menschen von besonderer Bedeutung, da mit zunehmendem Alter auch die Flexibilität abnimmt. Umständlich zu benutzende ÖV-Angebote (sowohl in bezug auf Linien, Takt sowie Tarife) sind ein Hinderungsgrund für die Benutzung. Deshalb kommt einem einfachen, leicht verständlichen System zusammen mit einer guten Informationsarbeit eine große Bedeutung zu.

  • Anrufsammeltaxi im ländlichen Raum

    Außerhalb von Ballungszentren stellt das Anrufsammeltaxi eine attraktive Alternative zum KFZ-Verkehr dar. Dadurch wird ein attraktives Angebot zu vertretbaren Kosten hergestellt. Das Anrufsammeltaxi funktioniert nach folgendem Schema:

  • Im Bedienungsgebiet des Anrufsammeltaxis werden Anrufsammeltaxi-Haltestellen definiert und gekennzeichnet.
  • Fahrgäste müssen ihren Fahrtwunsch telefonisch spätestens 30 Minuten vor dem Fahrtantritt der Anrufsammeltaxizentrale bekanntgeben.
  • Die Zentrale teilt dem Fahrgast die Abfahrtshaltestelle und die voraussichtliche Abfahrtszeit mit. Das Anrufsammeltaxi darf sich um max. 10 Minuten verspäten.
  • Fahrgäste müssen zur Haltestelle gehen und werden vom Anrufsammeltaxi zum gewünschten Ziel gebracht.
  • Die Fahrgäste zahlen nicht den vollen Taxitarif, sondern einen reduzierten feststehenden Tarif. Den restlichen Betrag muß z.B. die Gemeinde übernehmen.

Das Anrufsammeltaxi stellt ein gutes Angebot des öffentlichen Verkehrs in jenen Gebieten dar, die nicht wirtschaftlich von Linienbussen bedient werden können. Dazu zählen dünn besiedelte Stadtrandgebiete, kleinere Gemeinden usw. Ein wesentlicher Vorteil des Anrufsammeltaxis ist, daß es nur fährt und Kosten verursacht, wenn ein Fahrtwunsch vorliegt (im Gegensatz zu einem Linienbus).

  • Seniorengerechte Gestaltung der Fahrzeuge, Haltestellen und Zugangswege zu Haltestellen
    (Niederflurtechnologie, Sitzplätze, Haltestellen mit Anhaltemöglichkeiten, keine Stufen usw.)

        Die Seniorengerechtheit des öffentlichen Verkehrs ist neben dem Liniennetz wesentlich durch folgende Maßnahmen bestimmt:

  • komfortable und sichere Zugangswege zur Haltestelle (siehe Maßnahmen für den Fußgängerverkehr);
  • im Haltestellenbereich sind überdachte Sitzplätze sowie Anhaltemöglichkeiten (Geländer usw.) für Senioren bereitzustellen;
  • Witterungsschutz bei den Haltestellen, auch für den Sommer gegen direkte Sonnenbestrahlung und zu große Hitze;
  • Niederflurfahrzeuge mit möglichst geringen Stufen erleichtern den Ein- und Ausstieg für ältere Menschen; der öffentliche Verkehr bleibt dadurch auch für ältere Menschen länger benutzbar;
  • Haltestellen sollen mit Bordsteinen ausgestattet sein, die in Verbindung mit Niederflurfahrzeugen die Einstiegsstufe minimieren (z.B. mit Haltestellenrampen wie in Wien); die möglichst zu vermeidende, aber manchmal vorhandene "Lücke" zwischen Bordstein und Fahrzeug ist durch farbliche Kennzeichnung von Bordstein und Fahrzeugeinstieg hervorzuheben;
  • bei Umsteigehaltestellen sind komfortable und sichere Verbindungen zwischen den Haltestellen zu errichten (ebene Wege ohne Stufen, möglichst direkte Verbindungen, gute Sichtbarkeit und Information);
  • mehr reservierte Sitzplätze für Senioren; der Konflikt zwischen jungen und älteren Fahrgästen (z.B. Schüler – Senioren) soll auch durch eine bessere Aufklärung über die Probleme bzw. besseres Verständnis füreinander verringert werden (Verpflichtung des Personals der Verkehrsbetriebe).
  • Informationsarbeit und Marketing

        Das Produkt "öffentlicher Verkehr" muß als gesamtes Angebotspaket "verkauft" werden. Dazu zählen z.B.:

  • Spezielle Informationsveranstaltungen in Seniorenzentren, individuelle auf Seniorinnen und Senioren abgestimmte Mobilitätsberatung;
  • Leicht lesbare Linien- und Fahrpläne (Falter, Haltestellenaushang, Informationen im Fahrzeug) und Tarifinformationen; es ist eine ausreichend große Schriftgröße zu wählen;
  • Akustische und optische Information über den nächsten Halt; ältere Menschen brauchen mehr Zeit, um sich auf das Aussteigen vorzubereiten; deshalb ist eine möglichst frühe Information erforderlich. Diese Information soll sowohl akustisch (mit deutlicher und langsam sprechender Stimme) als auch optisch erfolgen, um teilweise Behinderungen bei älteren Menschen auszugleichen;
  • Haltestelleninformation über Verspätungen und die tatsächlichen Ankunftszeiten der nächsten Kurse.
  • Informationsarbeit innerhalb der Verkehrsbetriebe

    Die Probleme und Wünsche der älteren Menschen müssen allen Beteiligten innerhalb der öffentlichen Verkehrsbetriebe nähergebracht werden. Dazu zählt z.B. eine Lenkerinformation zum sanfteren Anfahren (eine wichtige Maßnahme für ältere Menschen). 

5.2.5. Maßnahmen für den KFZ-Verkehr

  • Verbesserung der Benutzbarkeit des Straßennetzes für Senioren

    Dazu zählen die Harmonisierung des Verkehrsflusses (siehe allgemeine Maßnahmen), aber auch eine ausreichende breite Dimensionierung der Fahrbahnen und Parkplätze für den KFZ-Verkehr.

  • Ausreichende Dimensionierung der Fahrbahnen und Parkplätze für den KFZ-Verkehr

    Im Bereich der Fahrbahnen ist im Hauptstraßennetz durch die Bemessung der Fahrbahnen für LKW eine ausreichende Breite gewährleistet (insbesondere bei verringerter Geschwindigkeit). Denkbar ist die Anordnung von "Seniorenparkplätzen" mit vergrößerten Abmessungen auf Parkplätzen (z.B. 20% längere Stellplätze bei Längsparkplätzen und 10% breitere Stellplätze bei Schräg- und Senkrechtparkplätzen). Zu klären ist in diesem Fall die Überwachungsmöglichkeit.

  • Verkehrsorganisation des KFZ-Verkehrs nach den Prinzipien der einfachen (intuitiven) Verständlichkeit der Verkehrsführung.

    Die Verkehrsorganisation soll ohne lange Erklärungen verständlich sein.

  • Verkehrsleit- und Informationssystem für den KFZ-Verkehr unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse der älteren Autofahrer (tendenziell schlechteres Sehen, eingeschränkte Beweglichkeit und Reaktionszeit):
    • Informationen sollen möglichst frühzeitig erfolgen, um mehr Zeit für die Entscheidungsfindung und Reaktion zu lassen.
    • Die Informationen müssen leicht erkennbar und lesbar sein; dazu bedarf es z.B. einer größeren Schrift als für junge Menschen.
  • Car-Sharing für Senioren

    Car-Sharing kann den Aktionsradius für Senioren, die keinen PKW besitzen, deutlich erhöhen. Es sollte modellhaft ein Car-Sharing-System für Senioren eingeführt und beworben werden.

  • Freiwillige Fahrschul-Auffrischungskurse für Senioren.
  • Fahrtauglichkeitsuntersuchung für alle Führerscheinbesitzer im Abstand von 5 Jahren.

Diese Maßnahme zielt nicht auf eine generelle "scharfe" Überwachung, sondern auf das Auffinden von uneinsichtigen Extremfällen, die eine starke Gefährdung darstellen. Bei dieser Überprüfung sollen sehr "lockere" Grenzwerte festgelegt werden.

6. Schlußbemerkungen

Altern ist ein unverrückbarer Bestandteil unseres Lebens. Gleichzeitig mit der Geburt setzt der Prozeß der räumlichen Mobilität ein. Das Individuum erschließt sich sein räumliches und soziales Umfeld entsprechend der Erreichbarkeit und der individuellen Fähigkeiten. Während seines Lebens (Alterns) durchläuft der Mensch eine Entwicklung seiner Möglichkeiten, mobil zu sein, aber auch der damit verbundenen Grenzen. Erste Krabbel- und Gehversuche enden in den ersten Erfahrungen von Gefahren und deren Überwindung (ebenso wie später das Gehen, Radfahren, Autofahren usw.). Die wachsenden Erfahrungen mit dieser Mobilität und die wachsenden körperlichen Fähigkeiten sowie der Besitz von Fahrzeugen ermöglichen dem Menschen zwischen ca. 25 und 55 ein Maximum an Erreichbarkeit seiner Umgebung und ein Maximum an Geschwindigkeit. Ab dem Alter von 55 nehmen die körperlichen Fähigkeiten mit zunehmendem Alter stark ab. Der Mensch kompensiert in diesem Alter die abnehmenden geistigen und körperlichen Fähigkeiten mit seiner Erfahrung und erhöhter Vorsicht.

Der Mensch hat in jedem Alter spezielle Mobilitätsbedürfnisse. Für die älteren Menschen bedeutet dies im Vergleich zu jungen Menschen:

  • Die "Mobilität", gemessen in Geschwindigkeit und Aktionsradius, nimmt mit zunehmendem Alter ab 55 Jahren durch gesundheitliche Einschränkungen und geringere Fahrzeugverfügbarkeit, aber auch durch geringere Berufstätigkeit stark ab.
  • Das "Zu-Fuß-Gehen" wird mit steigendem Alter ab 55 wieder das wichtigste Verkehrsmittel. Die Bedeutung des motorisierten Individualverkehrs nimmt stark ab. In Zukunft ist besonders bei älteren Menschen eine starke Steigerung des KFZ-Besitzes und der MIV-Nutzung zu erwarten. Derzeitige junge KFZ-Besitzer werden ihren PKW und ihr Mobilitätsverhalten auch ins Alter "mitnehmen".
  • Erledigungs- und Freizeitverkehr sind für Personen über 65 die beinahe einzigen Verkehrszwecke.
  • Ältere Menschen haben ein wesentlich größeres Sicherheitsbedürfnis als jüngere Altersgruppen zwischen 18 und 55 (ähnlich den Kindern).

Aus dem bestehenden Verkehrsverhalten der älteren Menschen und den Problemen leiten sich folgende Forderungen ab:

  • Die Allgemeinheit hat die Verantwortung, für alle Altersgruppen ein ausreichendes Maß an Mobilität zu ermöglichen. Das Verkehrssystem ist den Bedürfnissen und Möglichkeiten der älteren Menschen anzupassen. Das dient nicht nur älteren Personen, sondern in vielen Bereichen auch Kindern und allen Personen, die ein weniger stark autoorientiertes Verkehrsverhalten aufweisen. Im vorliegenden Bericht sind dazu detaillierte Vorschläge für alle Verkehrsmittel enthalten.
  • Räumliche Strukturen schaffen und erhalten, die die Erfüllung des Mobilitätsbedürfnisses von Seniorinnen und Senioren erleichtern. Im Sinne des geringeren "Aktionsradius" der älteren Menschen hat die Sicherstellung einer dezentralen Versorgung mit Einkaufs-, Gesundheits- und Freizeiteinrichtungen besonders großen Stellenwert.

7. Literaturverzeichnis:

Deutsche Shell AG: Motorisierung in Deutschland: Mehr Senioren fahren länger Auto; Shell Szenarien des PKW-Bestandes und der Neuzulassungen bis zum Jahr 2010 mit einem Ausblick auf 2020, Hamburg 1993

Final Report on Study Tours to Utrecht, Köln and Barcelona, compiled by Stuart Murray, Transport Resource Unit, Greater Manchester 1993

Herry M., Sammer G., Ruß M., Schuster M., Röschel G.: Mobilitätserhebung österreichischer Haushalte, Arbeitspaket A3-H2, im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes Österreich; Graz, Wien 1998

Hohenester G., Baier H., Hönig M., Zotter H., Roiko H., Linhart A.M., Saurugger V.: Bauen ohne Barrieren, Projektgruppe "Bauen ohne Barrieren", Stadtbaudirektion des Magistrats Graz, Graz 1993

Improving the Deal: Transport and Older People: Final Report, Compiled by the Greater Manchester Transport Resource Unit, Manchester 1996

Johannsson R., Persson L.: Straßen für alle – Ideen für die Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes für Fußgänger; Svenska Kommunverbundet, Stockholm, Deutsche Übersetzung in der Schriftenreihe zum Stadtentwicklungskonzept Graz im Auftrag des Magistrats Graz

ÖNORM B1600: Barrierefreies Bauen, Planungsgrundsätze, Fachnormenausschuß des Österreichischen Normungsinstitutes, Wien 1994

Röschel G.: Cycling and Senior Citizens, Paper presented at the Velocity Graz 1999

RVS 3.562: Radverkehrsanlagen, Planung, Entwurf und Bau; bearbeitet von der Forschungsgesellschaft für das Verkehrs- und Straßenwesen, Wien 1987

Simma A., Rauh W.: Senioren und Mobilität, Schriftenreihe Wissenschaft und Verkehr 1/1999 des VCÖ, Wien 1999

Tagungsband: Barrierefreies Bauen in den Bauvorschriften der Länder; Magistrat Graz, Graz 1994

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